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Körperglück: Sexualtherapie und Tango



von Birgit Faschinger-Reitsam

Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens, … lautet ein Sprichwort, das George Bernard Shaw zugeschrieben wird.

„Interessante Lektüre“, so meine Buchhändlerin, als ich das „Lehrbuch Sexualtherapie“ abholte. Weil ich auf trockenen Lesestoff gefasst war, habe ich vorsichtshalber noch ein Buch über Dirty Talk und „Magnificent Sex“ mitbestellt.

„11 Minuten“ betitelte Paolo Coelho unverblümt eines seiner Bücher und lässt seine Protagonistin darin erklären: „11 Minuten, also so lange der eigentliche Liebesakt durchschnittlich einnimmt.“ Interessante Parallele zum Tango, kommt mir, entspricht dies doch ziemlich genau der Zeitspanne, für die ein Tanzpaar während 4 Musikstücken die Welt um sich herum vergessen kann, bevor es sich wieder trennt.


Körperglück: Sexualtherapie und Tango
© Jo Kassis/pexels.com


Für meine Ausbildung zum Sexual Curiosity Coach kämpfe ich mich beherzt durch das Lehrbuch, das beschreibt, wie sich die sexualtherapeutischen Methoden in den letzten 50 Jahren entwickelt haben.

Ab und zu schweifen meine Gedanken ab und mir kommen immer mehr frappierende Ähnlichkeiten zum Tango in den Sinn. Kein Wunder, war ich doch erst vor kurzem drei Wochen in Buenos Aires zum Tango. Tapfer habe ich mich anfangs noch ermahnt, bei der Sache zu bleiben…



Schulung der Sinne


Das Buch beginnt mit dem revolutionären Konzept von Masters & Johnson, leitet über zur neuen Sexualtherapie von Helen Singer Kaplan hin zum Hamburger Modell. Alle verbindet, dass sie spezielle Körperspürübungen, „Sensate Focus“ zum Einsatz brachten. Dabei richten sich die PatientInnen auf Sinneswahrnehmung und Sinnlichkeit, anstatt auf zielorientiertes Verhalten, das sich auf die Genitalien und penetrativen Sex konzentriert.

„Wenn du begeisterst erzählst, dass du beim Tanzen warst, gibt das die Gesamtsituation nur ansatzweise wieder. Tatsächlich besteht so ein Tanzvergnügen aus einer wilden Mischung von Sinneseindrücken, glücklich verschwitzten Kleidern, innigem Kontakt und dem Gefühl, lebendig zu sein…“

Aus Wenn Tango Leiden schaf(f)t.  



Bin ich gut genug?


Ein besonderer Verdienst von Masters und Johnson ist die Beschreibung der Performance Anxiety, was sinngemäß mit Leistungsdruck und Versagensangst übersetzt werden kann.

Auch im Tango tanzt manchmal die Angst mit und zeigt sich bei Anfängern zum Beispiel dadurch, dass sie auf ihre Füße gucken. Nähe scheint noch zu riskant und ist durch diese Körperhaltung unmöglich. Fortgeschrittenere lenken mit akrobatischen Techniken ab, auch sie kommen somit nicht in den Genuss, sich hingebungsvoll zu verbinden.
Genau dazu bietet das nächste Kapitel in meiner Fachlektüre wertvolle Möglichkeiten, in einer Beziehung persönlich zu wachsen und „zutiefst erotische und intime Erfahrungen zu machen.“



Umarmung bis zur Entspannung


Nach jahrelanger Funkstille im Bereich der Sexualwissenschaft, stellt der Amerikaner David M. Schnarch 1991 ein neuartiges Therapiekonzept vor. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Selbstdifferenzierung, also die Fähigkeit eines Menschen, eine soziale Bindung oder Intimität auch dann zu behalten, wenn die Nähe durch einen Interessenskonflikt belastet wird.

Schnarch führte erstmals Sexual- und Paartherapie zusammen, die sich bislang unabhängig voneinander entwickelten. In seinem Buch „Psychologie sexueller Leidenschaft“ erklärt er die Umarmung zum Instrument für das Zusammenfinden. Seine Übung „Umarmung bis zur Entspannung“ bezeichnet er selbst als Meilenstein auf dem Weg der sexuellen Entwicklung.

Nichts anderes gilt für den Tango: „Männer! Tanzt nicht gleich los!“ mahnte vor vielen Jahren einer meiner ersten argentinischen Tangolehrer. „Fühlt euch ein in die Umarmung, in die Musik. Atmet. Und dann könnt ihr tanzen…“



Tango ist eine innige Umarmung – oder nichts.


Wie geht richtig schlechten Sex haben?

Im Kapitel „Systemische Sexualtherapie“ spricht mir Ulrich Clement aus dem Herzen, denn die meisten dieser „defizitorientierten Therapieformen sind mittlerweile erschöpft und führen bestenfalls zu einer mittelmäßigen Sexualität“.

Nicht mehr den „Ursachen“ von Symptomen wird Aufmerksamkeit geschenkt, sondern den Mechanismen, die zu ihrer Aufrechterhaltung beitragen.
Dieser Satz ist es wert, ihn nochmal zu lesen…
Er hält auch nicht viel davon, Angst zu reduzieren (z.B. medikamentös), da dies maximal zu einer „funktional tristen Alltagssexualität führt.“
Clement schafft Bewusstsein für sexuelle Skripte und lockt Paare durch Spiel-Interventionen aus der Reserve:

Ich bin elektrisiert von der Frage: „Was müssen Sie tun, damit sich Ihre Frau/Ihr Mann noch weniger für Sie interessiert?“ Ebenso die Vorgabe: „Richtig schlecht Sex haben“ oder „Tun Sie heute Abend so, als ob sie an Sex überhaupt nicht interessiert sind.“   

Ich nehme Fahrt auf, denn diese Fragen können wir 1:1 auf Tango übertragen. „Was muss ich tun, damit sich kein Tänzer für mich interessiert?“
Ich finde, diese Fragen haben es in sich – bringen uns aber auch auf Lust:ige Ideen.


Tango ist eine innige Umarmung - oder nichts
© 7seth/unsplash



It takes two to Tango


Über Sex wird viel geredet, noch mehr allerdings verschwiegen… 

Clement: „Sexualität ist nichts anderes als Kommunikation auf körperlicher Ebene. Nur wer redet, wird gehört. Und wer sich nicht traut, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, kann nicht hoffen, dass der andere sie errät. Und solange wir nichts wissen von den Sehnsüchten, Fantasien, Empfindlichkeiten des Partners, kann keine echte Nähe entstehen. Eine inspirierende Methode, Sex lebendig zu halten, ist es deshalb, neue Fragen zu stellen. Am besten solche, an die Sie sich noch nie herangewagt haben und die ans Eingemachte gehen. 

Schon lege ich den Wälzer zur Seite und erinnere mich an einen Workshop „Dirty Talk“, den ich mir neulich gegönnt habe. Mein großes Learning war: Dass die Wortwahl gar nicht schmutzig oder despektierlich sein muss. Im Gegenteil.   

Ein Kompliment ist die charmante Vergrößerung einer kleinen Wahrheit. Eine Frau ist im Stande, zwei Tage lang von nichts anderem zu leben als von einem hübschen Kompliment.

Quelle unbekannt – gilt aber auch für Männer…



Tango-Dirtytalk


In Buenos Aires habe ich den „Tango-Dirtytalk“ kennen- und schätzen gelernt. Da gibt es Piropos – Komplimente, die der Frau ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Für ein „Mentime que me gusto“ – „Erzähle mir Lügen, die mir gefallen…“, braucht es vielleicht ein wenig Mut. Den Tänzer möchte ich jedoch sehen, dem diese Bitte kein schelmisches Lächeln entlockt.

Für Bezeugungen, wie „Wir sind wie füreinander gemacht“, lässt sich ein Paar schon mal eine halbe Minute Zeit… währenddessen sich Touristen als solche outen, und gleich lostanzen – und schlimmer noch: die Frau nach dem Tanz ohne ein Piropo mitten im Saal stehen lassen, statt sie zurück zum Platz zu begleiten.

„Der Tango ist als Tanz das Schönste, was es gibt. Man muss ihn mit Kraft angehen, mit viel Zärtlichkeit und vielen Stunden Arbeit. “ „Wenn Du Tango tanzt, dann musst Du alles geben, kannst Du es nicht, dann tanze nicht."

Quelle unbekannt.



Trau dich großartig


Verbundenheit und körperliche Präsenz sind Kriterien, die die amerikanische Sexualtherapeutin Peggy Kleinplatz in ihrem Buch „Magnificent Sex“ näher beschreibt: „Die Liebenden sind so innig miteinander, dass es keinen Raum für jemanden von außerhalb gibt, nicht für die kleinste Ablenkung. Sie nehmen den Rest der Welt nicht wahr. Sie sind ungehemmt und begeistert miteinander.“

Die beglückendsten Erfahrungen machen Menschen, die „Brüche“ in ihrem Leben oder Partnerschaft überstanden haben. Oft sind dies Menschen jenseits der 60, wie David Schnarch es beschreibt oder die zahlreichen Interviewpartner von Peggy Kleinplatz, die wegen körperlicher Herausforderungen ihr Leben umstellen mussten, sich als queer geoutet haben oder ein Alter erreicht haben, in dem die Gesellschaft ihnen Lust und Leidenschaft gemeinhin abspricht. Oder um Clement nochmal in Spiel zu bringen, der schreibt, dass leidenschaftliche Sexualität, ohne sich seiner Angst zu stellen, kaum möglich sei.

Auch beim Tango gibt es Momente, in denen die Zeit stillsteht, während sich das Paar durch den Raum bewegt. Innig verbunden, im Takt der Musik, berauscht, zufrieden, zutiefst genährt.

In Buenos Aires sah ich sie: Die Frau mit dem verzückten Blick in ihrem schicken Kleid, als ihr Tanzpartner sie im Rollstuhl sitzend an den Händen haltend zur Tangoklängen bewegte. Ich sah die Frau, wie sie – auf Krücken und nur einem Bein, wohl aber auf  hohem Hacken – bis spät in den Morgen tanzte. Und ich habe die gefühlvollen Tänze mit den teils hochbetagten Milongeros genossen.



Fazit:


Sexualtherapie ist häufig auch Paartherapie. „So etwas wie einen unbeteiligten Partner in einer sexuell gestörten Ehe gibt es nicht.“ Dies war einer der Sätze, die bei mir hängen blieben. Auch Tango ist für die meisten Paare eine Beziehungsprobe. So wie man im Tanz erfährt, dass Genuss erst dann entsteht, wenn beide in in ihrer Achse stehen, braucht es – gerade für Menschen in langjähriger Beziehung – die Bereitschaft, Verantwortung für die eigene Sexualität zu übernehmen, sich verletzlich zu zeigen und Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln..

Trotz Tango zusammen zu bleiben, stellt nicht selten eine Hürde dar. Eine Hürde, die wahrlich nicht einfach zu meistern, dennoch eine Chance ist, in der Beziehung zu wachsen und Leidenschaft auf neue Weise zu erleben.

Liebe Grüße

Birgit



Birgit Faschinger-Reitsam
© Birgit Faschinger-Reitsam

Birgit Faschinger-Reitsam


Ich unterstütze dich als Frau, wenn du mehr willst vom Leben. Auf kraftvoll-weibliche, ganzheitliche Weise – in jeder Beziehung. In meinen Büchern oder durch ein intensives Coaching.

https://birgit-faschinger-reitsam.de/lust-oder-laune/






Ein Buch, das Füße glücklich macht. Nicht nur für Tangotänzerinnen



Birgit Faschinger-Reitsam: Wenn Tango Leiden schaf(f)t: Mit glücklichen Füßen genussvoll tanzen
Birgit Faschinger-Reitsam

Wenn Tango Leiden schaf(f)t

Mit glücklichen Füßen genussvoll tanzen
Für genussvolles Tanzen sind gesunde Füße wichtig. Das wurde der Autorin erst klar, als sie wegen Fußproblemen mit ihrer Leidenschaft, dem Tango, pausieren musste. Der Wunsch, schnell wieder zu funktionieren, ließ sie verschiedene Methoden ausprobieren und brachte sie zu der Erkenntnis: Tun alleine, noch dazu lieblos oder routinemäßig, bringt nicht den ersehnten Erfolg. Durch intensive Auseinandersetzung mit ihrem Körper bekam Birgit Faschinger-Reitsam tiefe Einblicke in Zusammenhänge, über die sie als Draufgängerin im gleichnamigen Blog schreibt. Wenn Tango Leiden schaf(f)t ist ein Ratgeber für Tänzerinnen, der Wege zeigt, sich auf sinnliche Weise seinen Füßen zu nähern. Wie eine Tangotänzerin „spürige“ Füße bekommt, erfährt sie zudem in den Interviews mit Profifrauen, die sich mit Füßen bestens verstehen: High Heel-Expertin, Fußschullehrerin, Tangotänzerinnen und Tanzpädagogin.




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