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Wege aus der Angst - Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther


Wir Menschen verfügen über ein plastisches, zeitlebens lernfähiges Gehirn und müssen erst herausfinden, worauf es im Leben ankommt. Deshalb sind und bleiben wir Suchende. Aber allzu leicht können wir uns auf der Suche nach einem glücklichen und sinnerfüllten Leben auch verirren, als Einzelne ebenso wie als ganze Gesellschaft. Sobald wir zu spüren beginnen, dass wir auf Abwege geraten sind, bekommen wir Angst. Und das ist gut so. Die Angst ist unser wachsamster Begleiter. Sie ermöglicht es uns, aus Fehlern zu lernen. Ohne Angst können wir nicht leben.

Mit seiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Angstforschung geht der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther in seinem neuen Buch Wege aus der Angst der Frage nach, wie sich diese, unser Leben schützende Funktion der Angst mit unserer Sehnsucht nach einem angstfreien Leben vereinbaren lässt. Seine überraschende Antwort: Menschen können auch lernen, berechtigte Ängste zu ignorieren. Sie können sogar die Erfahrung machen, dass sich eine tief in ihnen spürbare Angst durch eine andere, vordergründig ausgelöste und besser kontrollierbare Angst überlagern lässt. Um bestimmte Ziele zu erreichen, sind wir Menschen in der Lage, Angst sowohl zu unterdrücken wie auch zu verstärken nicht nur bei uns selbst, sondern noch viel wirkmächtiger bei anderen.

Das Schüren oder Beschwichtigen von Angst ist also gezielt zur Durchsetzung eigener Interessen und Absichten einsetzbar. Diese Instrumentalisierung der Angst macht Menschen abhängig und manipulierbar, beraubt sie ihrer Freiheit.

Entsprechend beschreibt Prof. Dr. Gerald Hüther auch im nachfolgenden Interview nicht, wie wir uns von der Angst befreien, sondern was wir tun können, um nicht zu Getriebenen der von anderen oder Interessengruppen geschürten Ängste zu werden.


Prof. Dr. Gerald Hüther
© Michael Liebert

Prof. Dr.Gerald Hüther im LEBE-LIEBE-LACHE Interview mit Annette Maria Böhm


LEBE-LIEBE-LACHE: Angst ist ein urmenschliches Gefühl, mitunter lebensrettend. Die grundlegende Emotion hilft uns, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Sie mahnt uns zu Vorsicht und erhöhter Aufmerksamkeit. Begründete Angst verschafft uns die nötigen Energien, um entschlossen zu handeln, Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder Herausforderungen anzunehmen und unsere Kräfte zu mobilisieren. Wo liegt die Grenze zwischen normaler und krankhafter Angst?

GERALD HÜTHER: Angst ist überlebenswichtig, da haben Sie recht. Aber manche Leute habe ja auch Angst davor, dass jemand einen Kratzer in den Lack ihres neuen Autos macht, dass sie von ihrem Partner verlassen werden, oder keinen mehr finden. Und alle denken freilich auch, ihre jeweilige Angst sei begründet und sind dann auch bereit alles zu tun, um die betreffende Bedrohung abzuwenden. Das ist „normal“, das geht uns allen so, auch wenn andere glauben, wir spinnen. Oder wenn Mediziner diese Angst als „krankhaft“ bezeichnen, weil jemand mit seiner Angst in der Schule oder im Beruf oder auch im Alltagsleben einfach nicht mehr „normal“ funktioniert.



LEBE-LIEBE-LACHE: An welcher Stelle macht es für uns Sinn berechtigte Ängste zu ignorieren?

GERALD HÜTHER: Für den, der sie hat, ist seine jeweilige Angst immer berechtigt. Sonst könnte sie sich ja nicht im seinem Gehirn ausbreiten und die damit einhergehenden körperlichen Reaktionen auslösen. Ignorieren kann der oder die Betreffende diese Angst nicht, aber sich fragen, ob sie wirklich berechtigt ist und was sie ihm sagen will, das geht schon.



LEBE-LIEBE-LACHE: Rasant zunehmende Corona-Neuinfektionen zwingen viele Länder in Europa, die Schutzmaßnahmen wieder zu verstärken. Auch der Virologe Christen Drosten warnt in diesen Tagen erneut: Die Corona-Zahlen in Deutschland könnten steigen wie in Frankreich und Spanien. Welche Rolle spielt Angst im Zusammenhang mit der Coronakrise?

GERALD HÜTHER: Die Menschen haben ja keine Angst vor dem Virus. Das haben sie ja noch nicht einmal gesehen. Was ihnen Angst macht, ist die Vorstellung davon, wie gefährlich es ist. Diese Vorstellung läßt sich durch Warnungen oder durch Beschwichtigungen anderer Personen, von deren Kompetenz man überzeugt ist, entweder steigern oder abschwächen.



Gerald Hüther: Wege aus der Angst: Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen
Empfohlen von Lebe-Liebe-Lache.com
Gerald Hüther (Autor)
Wege aus der Angst
Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen
Menschen verfügen über ein plastisches, zeitlebens lernfähiges Gehirn und müssen erst herausfinden, worauf es im Leben ankommt. Deshalb sind und bleiben wir Suchende. Aber allzu leicht können wir uns auf der Suche nach einem glücklichen und sinnerfüllten Leben auch verirren, als Einzelne ebenso wie als ganze Gesellschaft. Sobald wir zu spüren beginnen, dass wir auf Abwege geraten sind, bekommen wir Angst. Und das ist gut so. Die Angst ist unser wachsamster Begleiter. Sie ermöglicht es uns, aus Fehlern zu lernen. Ohne Angst können wir nicht leben.

Mit seiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Angstforschung geht der Neurobiologe Gerald Hüther in diesem Buch der Frage nach, wie sich diese, unser Leben schützende Funktion der Angst mit unserer Sehnsucht nach einem angstfreien Leben vereinbaren lässt. Seine überraschende Antwort: Menschen können auch lernen, berechtigte Ängste zu ignorieren. Sie können sogar die Erfahrung machen, dass sich eine tief in ihnen spürbare Angst durch eine andere, vordergründig ausgelöste und besser kontrollierbare Angst überlagern lässt. Um bestimmte Ziele zu erreichen, sind wir Menschen in der Lage, Angst sowohl zu unterdrücken wie auch zu verstärken – nicht nur bei uns selbst, sondern noch viel wirkmächtiger bei anderen.

Das Schüren oder Beschwichtigen von Angst ist also gezielt zur Durchsetzung eigener Interessen und Absichten einsetzbar. Diese Instrumentalisierung der Angst macht Menschen abhängig und manipulierbar, beraubt sie ihrer Freiheit. Entsprechend beschreibt Gerald Hüther auch nicht, wie wir uns von der Angst befreien, sondern was wir tun können, um nicht zu Getriebenen der von anderen oder Interessengruppen geschürten Ängste zu werden.


LEBE-LIEBE-LACHE: Welche Ursachen stecken hinter starken Angstgefühlen?

GERALD HÜTHER: Angst entsteht immer dann, wenn Vertrauen verloren geht. Es gibt drei Vertrauensressourcen, auf die wir zurückgreifen können, wenn wir vor etwas Angst haben: das Vertrauen in unsere eigenen Kompetenzen, eine schwierige Situation meistern zu können, das Vertrauen, dass wir andere finden, mit denen wir das Problem gemeinsam lösen können, wenn uns das allein nicht gelingt und das Vertrauen, dass es „wieder gut“ wird, dass wir in dieser Welt durch irgendetwas Größeres gehalten und beschützt werden. Wer am wenigsten auf diese drei Ressourcen zurückgreifen kann, gerät am schnellsten in den Würgegriff ohnmächtiger Angst.



LEBE-LIEBE-LACHE: Wenn die bloße Vorstellung von Ereignissen, die uns oder unseren Liebsten zustoßen könnten, ausreicht um Angst zu entwickeln: Welchen Rat können Sie unseren LeserInnen an dieser Stelle geben?

GERALD HÜTHER: Ich erteile keine Ratschläge, aber ich möchte die LeserInnen ermutigen, der Frage nachzugehen, von wem sie die Vorstellung übernommen haben, dass etwas gefährlich sei. Dann läßt sich auch meist schnell herausfinden, ob diese jeweilige Person mit ihren Warnungen damals eine bestimmte verfolgt hat.



LEBE-LIEBE-LACHE: Wie lautet die versteckte Botschaft der Angst?

GERALD HÜTHER: „Du mußt etwas in Deinem Leben ändern“, lautet diese Botschaft und sie bezieht sich wohl immer auf die jeweiligen Vorstellungen, die man bisher verfolgt hat und von denen man meinte, sie seien wichtiger als alles andere.



LEBE-LIEBE-LACHE: Weshalb ist das Schüren von Angst die wirksamste Strategie, um Menschen gefügig zu machen?

GERALD HÜTHER: Zum Glück lassen sich ja nicht alle Menschen durch angstmachende Botschaften erschrecken, sondern nur diejenigen, die zu wenig Gelegenheit hatten, wirksame Ressourcen zur Bewältigung ihrer Ängste herauszubilden. Sie trauen sich selbst nicht viel zu, haben wenig Vertrauen zu anderen und wissen meist gar nicht, was es heißt, sich in der Welt geborgen fühlen zu können. Sie lassen sich besonders schnell verängstigen und damit für das gefügig machen, was ihnen die betreffenden Angstmacher an Lösungen anbieten. Wenn Sie zu denen gehören, die davor gewarnt worden sind, im Alter faltig und verschrumpelt aussehen zu müssen, und Sie sich diese Vorstellung zu eigen gemacht haben, hat der Faltenschutzcreme-Verkäufer mit Ihnen ein leichtes Spiel.



Prof. Dr. Gerald Hüther - Porträt
© Josef Fischnaller
Prof. Dr. Gerald Hüther
zählt zu den renommiertesten Hirnforschern Deutschlands. Er wurde 1951 in Gotha geboren, hat in Leipzig studiert und in Jena promoviert, bevor er zum Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen wechselte. Gerald Hüther interessiert sich vorwiegend für die frühen Erfahrungen im menschlichen Leben und deren Einfluss auf die Hirnentwicklung, wozu vor allem emotionale Reaktionen wie Angst und Stress gehören. Seine Erkenntnisse veröffentlicht Hüther nicht nur für die Fachwelt, sondern auch in - auch für Laien - gut zugänglichen Sachbüchern.

Mehr über Gerald Hüther erfahren Sie unter www.gerald-huether.de



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