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ADHS – noch so eine Modekrankheit?



von Katri Dietz

Britney Spears hat es, Will Smith auch, ebenso Prinz Harry und Justin Timberlake. In Deutschland bekennen sich unter anderen die Moderatorin Sarah Kuttner und Autor Dr. Eckhart von Hirschhausen öffentlich dazu.

Klar, alle haben das schon mal gehört: ADHS bedeutet Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom. Viele kennen das als Zappelphilipp-Syndrom. ADHSler, das waren früher die wilden Jungs, die Klassenclowns. Bei Mädchen gab es das nicht - das dachte man noch bis vor kurzem.

Inzwischen steht fest, dass Mädchen und Frauen genauso an ADHS leiden können wie Jungen und Männer. Der damit verbundene Leidensdruck ist genauso stark, wenn nicht noch stärker, weil er jahrzehntelang nicht erkannt und immer wieder abgetan wurde. „Stell dich nicht so an – du hast doch nichts – das ist nichts – du bist einfach nur dumm und faul!“

ADHS - noch so eine Modekrankheit?
© Ron Lach/pexels.com


Beim Aufwachsen in den 70er und 80er Jahren haben das sicher viele der kreativen Sensibelchen gehört. Heute wird bekannt, dass ADHS bei Mädchen genau dadurch in Erscheinung tritt, dass sie kreativ und sensibel sind. Verträumt, still, immer in der eigenen Welt. Tollpatschig, nicht ganz bei sich, nicht koordiniert. Wo will ich hin, wo komm ich her, wer bin ich, und was wollte ich im Wohnzimmer? Das waren so die Fragen die ich mir schon als Achtjährige stellte, und jetzt weiß ich auch, warum. Mein Gehirn war die ganze Zeit damit beschäftigt, Reize zu verarbeiten und ist daran kläglich gescheitert.

Meine Tochter wurde letztes Jahr mit ADHS diagnostiziert, nachdem sie durch schulischen Stress zuvor schwere Depressionen entwickelt hatte. Um sie zu unterstützen, beschäftigte ich mich daraufhin ausgiebig mit dem ADH-Syndrom bei Frauen in jungen Jahren und im Erwachsenenalter. Es gibt das Aufmerksamkeits-Deifizit-Syndrom mit und ohne Hyperaktivität. Wir haben eine Mischform, sowohl als auch. Innerlich unruhig und nach außen wie gelähmt. Grauenhaft.

Ich las alles, was ich zu dem Thema finden konnte. Besonders die Internetseite www.ADHSpedia.de half mir, erste Fragen zu beantworten und mich in das Thema einzuarbeiten. Ich fand Gleichgesinnte in Facebook-Gruppen, sah Youtube-Videos, kaufte Bücher, tauschte mich mit anderen Betroffenen und vermeintlich Betroffenen aus. Erst nur als Mutter meiner Tochter – dann auch für mich selbst.



Christine Carl, Ismene Ditrich, Christa Koentges, Swantje Matthies: Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S: Warum sie so besonders sind und was sie stark macht
Christine Carl, Ismene Ditrich, Christa Koentges, Swantje Matthies (Autorinnen)

Die Welt der Frauen und Mädchen mit AD(H)S

Warum sie so besonders sind und was sie stark macht
Frauen und Mädchen mit AD(H)S erhalten viel seltener eine Diagnose als Männer und Jungen, denn ihre Symptome fallen weniger stark auf: Betroffene Frauen und Mädchen sind weniger hyperaktiv, dafür verträumt, unaufmerksam und vergesslich. Die zu späte oder fehlende Diagnose kann weitreichende Folgen haben: Der Leidensdruck bleibt meist über Jahrzehnte bestehen, schadet ihrem Selbstwertgefühl und zieht Folgeerkrankungen nach sich.
Die vier Expertinnen der Freiburger Arbeitsgruppe AD(H)S leisten in diesem Buch wichtige Aufklärungsarbeit für Frauen mit AD(H)S sowie für Eltern betroffener Mädchen. Mit vielen Einblicken aus der Forschung, Fallgeschichten, Reflexionen und Übungen zur Selbsthilfe zeigen sie konkrete Wege auf, wie Betroffene mit ihrer Besonderheit Frieden schließen, ihre vielen Stärken entdecken und gut mit AD(H)S leben können.



Ich hatte zwar bereits mit Achtsamkeit, gesunder Ernährung, Sport und einem rundum gesunden Leben einen Grundstein für mich gelegt, mit dem ich mein Leben gut meistern konnte - aber ich wusste immer noch nicht, was mit mir so grundlegend nicht stimmte. Ich trug immer noch das Gefühl mit mir herum, irgendetwas sei komplett falsch mit mir. Lange erklärte ich meinen Zustand mit traumatischen Erlebnissen in meiner Kindheit.

Tatsächlich sind die Folgeerscheinungen frühkindlicher Traumata einem ADHS-Syndrom sehr ähnlich. Es ist schwer für Außenstehende zu unterscheiden. Erst eine Diagnostik bringt dann Klarheit.


Wenn du –


  • emotional instabil bist
  • zu Extremen neigst (himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt)
  • abwechselnd sehr wenig oder sehr viel Antrieb hast-
  • Dich in Gruppen unwohl fühlst
  • Kaum eine Aktivität zu Ende bringst,
  • wenn alles um dich herum sehr laut, sehr grell, sehr viel scheint,
  • und du Reize nicht filtern kannst, z.B. in einem Restaurant, im Zug, in Menschenmengen,
  • wenn du nach Schule, Uni, Arbeit überreizt bist und sehr viel Rückzug brauchst,
  • wenn du grundlos gereizt und wütend bist, obwohl du dein bestmögliches gibst, um ein funktionierender Teil der Gesellschaft zu sein,
  • wenn du explodierst, obwohl du vom Kopf her weißt, dass es sich beim Auslöser nur um eine Kleinigkeit handelt (sogenannter Meltdown)
  • wenn du deinen Haushalt immer wieder prokrastinierst, weil du einfach keinen Sinn darin siehst, etwas zu tun, was sowieso in zwei Tagen wieder gemacht werden muss,
  • wenn du scheinbar grundlos müde und erschöpft bist, einfach vom Leben,
  • wenn du immer auf der Suche nach dem nächsten „Kick“ bist –
  • und wenn ADHS dann auch noch wahrscheinlich oder diagnostiziert in deiner Familie vorkommt -

dann überleg doch mal, ob bei dir vielleicht auch eine AD(H)S vorliegen könnte.

ADHS hat viele Gesichter: Trauma, Depressionen, chronische Krankheiten sind einige davon. Viele von uns bekamen diese Diagnosen, weil es so undenkbar schien, dass wir „einfach nur ADHSler sein könnten“!

Dadurch, dass wir keine äußeren Reize im Gehirn filtern und verarbeiten können und alles ungefiltert aufnehmen, geraten wir in einen Dauerstress-Modus.

Bei einer nicht diagnostizierten und nicht behandelten ADHS kann es so weit gehen, dass sich das Immunsystem gegen sich selbst richtet. Übermäßiger Zucker- und Alkoholkonsum sowie Zigaretten tun ihr Übriges, um die Entstehung von Autoimmunerkrankungen und anderen chronischen Krankheiten zu begünstigen.


ADHS hat viele Gesichter: Trauma, Depressionen, chronische Krankheiten sind einige davon
© Ron Lach/pexels.com

Ähnlich dem Zustand nach einem unverarbeiteten Trauma, gleicht das Leben einer ständigen Bedrohungssituation. Die Muskeln sind in Anspannung, auch die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Ent-Spannung ist nur sehr schwer zu finden. Deshalb sind ADHS-Personen auch prädestiniert dafür, Süchte zu entwickeln: ob Medien, Alkohol, Zucker, Flirten, Kaufrausch, wechselnde Beziehungen – es wird unbewusst ständig Dopamin produziert, damit der Zustand auszuhalten ist. Langeweile ist am schlimmsten. Meditation, Yoga oder Massagen sind kaum zu ertragen, weil nichts passiert und das Gehirn noch nicht gelernt hat, Ruhe zu geben.


Oft fehlt die Impulskontrolle. ADHSler sind auch schneller handgreiflich und fahren aggressiv Auto, solange sie noch keine Geduld und Gelassenheit gelernt haben. Es ist unglaublich schwer, diese Impulse unter Kontrolle zu bekommen. Atemübungen und Achtsamkeit helfen da viel.

Entweder wir reden ununterbrochen oder wir schweigen. Wir unterbrechen andere in ihrem Redefluss. Es ist nicht böse gemeint, aber wir wollen immer so viel erzählen und denken so schnell und so viel! Mitteilungsbedürfnis steht bei vielen ADHSlern ganz oben an der Spitze ihres Charakters. Viele von uns werden als egoistisch und dominant wahrgenommen, obwohl wir uns gut in andere einfühlen können.

ADHSler sind die wahren Ästheten. Wir lieben Farben, harmonische Formen, bunte Kleidung und benutzen sie als Statement. Viele betätigen sich künstlerisch, und können dadurch ihre kreativen Fähigkeiten als Ausgleich zu all dem Stress nutzen, oft im Hyperfokus. Dann vergessen wir zu essen, zu trinken, oder dass wir Kinder haben, die ebenfalls essen und trinken müssen. Es ist mehr als ein Flow, es ist eine eigene Welt. Im Hyperfokus existiert nichts anderes, und das macht es so gefährlich und auch so wunderbar.



Aber was ist jetzt das Gute an der ADHS? Wo steckt denn die „Superkraft“?


Die Fähigkeit, die ganz viele ADHSler miteinander verbindet, ist die sehr große Empathie. Gleichzeitig verfügen sie über einen sehr großen Gerechtigkeitssinn und eine angeborene Ehrlichkeit. Sie beschäftigen sich eher mit Kunst, Musik, spirituellen Themen und Sinnfragen als neurotypische Menschen. ADHSler sind die geborenen Künstler, Heiler, Autoren, Maler, Schauspielerinnen. Sie verbinden Kunst, Sinnhaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Emotionen miteinander. ADHSler, die im Selbstvertrauen leben, können andere mitreißen und begeistern. Und andere, die „Normalos“, die ganz im Kleinen vor sich hin wurschteln, können einfach sehr liebe Menschen sein, kreative Mütter, engagierte Nachbarinnen, Frauen, die Netzwerke gründen oder ehrenamtlich arbeiten- kleine Sonnen, die jeden erhellen, der ihnen begegnet.


Künstler, Heiler, Autoren, Maler, Schauspielerinnen. Sie verbinden Kunst, Sinnhaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Emotionen miteinander
© Ron Lach/pexels.com



Die Vorteile einer Diagnostik:


„Was soll ich mit der Diagnose? Mir reicht es ja, ungefähr zu wissen, was ich habe.“

Diese Meinung habe ich lange geteilt. Als ich aber bei meiner Tochter sah, wie fokussiert und klar sie unter der neuen Medikation war, und auch von vielen anderen hörte und las, dass Methylphenidat (das gängige Medikament bei ADHS) ein absoluter Life-Changer und Game-Changer sei, wollte ich es zumindest ausprobieren.

Nach nur einem Fragebogen bei einer auf ADHS spezialisierten Psychiaterin hatte ich eine sehr klare ADHS-Diagnose.

Ich nehme Medikamente wirklich nur, wenn es nötig ist und arbeite viel mit der Natur, mit Meditation, Reiki, Selbstheilungskräften und Salbeitee. Aber irgendwann kommt auch Salbei an seine Grenzen. Manches kann eben doch nur durch eine chemische Reaktion gelöst werden. Sollte es Medikinet auf pflanzlicher Basis geben, bin ich dafür absolut offen.

Als ich Methylphenidat das erste Mal einnahm, fühlte es sich an, wie aus einem Schraubstock befreit zu sein. Ich wusste gar nicht, wie viele Ängste ich mit mir herumtrug, bis ich ihre Abwesenheit spürte. Ich wurde so ruhig wie noch nie in meinem Leben, und gleichzeitig sehr klar im Kopf. Heute bin ich innerlich entspannt UND gleichzeitig aktiv! Sehe ich, dass ein Fenster schmutzig ist, putze ich es. Möchte ich einen Artikel schreiben, schreibe ich ihn. Ich konnte es gar nicht glauben – SO fühlen sich neurotypische Menschen? Man macht einfach das, was man muss, ohne dieses ewige Aufschieben und sich Grämen? Natürlich schieben neurotypische Menschen Dinge auch auf und grämen sich. Ich denke aber, ADHS bietet da ein ganz anderes Spektrum.

Was für ein Wunder! Ich möchte glauben, dass auch das ein Wunder ist, dass Gott mir die Diagnose und den Mut gegeben hat, um leichter durchs Leben zu gehen, mit allen Mitteln, die die moderne und die alte Medizin zur Verfügung stellen. Für mich war die Diagnose wirklich ein lang ersehnter Life-Changer. Ich weiß jetzt noch mehr, dass mit mir alles in Ordnung ist. Ich bin nicht nur gut so, wie ich bin, sondern ich weiß auch, dass ich ADHS habe und es deshalb für mich schwieriger ist, Kontakte und Freundschaften aufrecht zu erhalten, an sozialen Events teilzunehmen, oder das zu tun, was allgemein von mir erwartet wird.

Ich mag keinen Druck und ich möchte sehr selbstbestimmt leben. Und ich liebe es, anderen zu helfen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. Ich bin eine „ganz normale ADHSlerin“.

ADHS - Auch DU Hast Superkräfte!




Katri Dietz


Katri Dietz
© Katri Dietz
ist staatlich geprüfte Rundfunkjournalistin, Autorin und zertifizierte Psychologische Beraterin/ Personal Coach für chronisch kranke Frauen mit dem Schwerpunkt Positive Psychologie.

Bis zu ihrer schweren Erkrankung 2017 mit Polymyositis hat die gebürtige Hannoveranerin als Freie Redakteurin und Presenterin für verschiedene Radiosender Norddeutschlands gearbeitet (z.B. radio ffn, NDR, R.SH)

Katri Dietz nutzt heute die Natur, Reiki, ihre eigenen Erfahrungen mit Traumaheilung sowie ihre fundierte Ausbildung, um anderen chronisch kranken Frauen Mut zu machen und neue Lebensfreude zu vermitteln. Voraussichtlich im September 2024 wird sie auch die Weiterbildung zur Resilienztrainerin erfolgreich abgeschlossen haben.

Im Heyne Verlag hat sie bereits zwei Romane veröffentlicht, Wickelkontakt (2011) und Härtetest (2012). Weitere Romane sind in Planung.

Die 47-jährige ist seit 2005 verheiratet und hat zwei jugendliche Kinder. Zur Familie gehören auch eine Hündin und zwei Katzen aus dem Tierschutz. Die Natur-Coachin lebt und arbeitet in ihrer Wahlheimat Schleswig-Holstein.



Unheilbar und unsichtbar


Polymyositis ist eine seltene rheumatische Autoimmunkrankheit der Muskeln. Katri Dietz möchte mehr Aufmerksamkeit und Verständnis für Menschen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen schaffen.

Allein zum rheumatischen Formenkreis gehören über 400 Erkrankungen. Rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, Lupus, Gicht und Vaskulitis sind die bekanntesten.

Direkt zu Homepage von Katri Dietz: www.katri-dietz.de



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