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Trauer in Patchworkfamilien
von Ulla Grans
Leben ist das was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.
(John Lennon)
Ja, so ist das wohl im Leben.
In unserer so anderen, aber auch besonderen Familie ist das Unfassbare eingetreten. Der Tod hat ein Familienmitglied aus unserer Patchworkfamilie plötzlich und völlig unerwartet weggerissen. Und auf einmal ist alles anders. Alle Gewohnheiten, Alltäglichkeiten, Kontakte, Telefonate geschehen plötzlich in anderer Form, mit anderen Gedanken und vor allem mit anderen Gefühlen. Der Raum der Trauer muss auf einmal von allen gehalten werden. Die Zeit bleibt stehen und verschwindet.

© Anna-Louise/pexels.de
Wir stehen einander bei. In Liebe.
Der Tod ist in allen Ritzen zu spüren und nimmt sich vorbehaltlos seinen Raum. Zu Recht. Während ich das schreibe, muss ich weinen, weil es so unfassbar traurig ist.
Doch –
Darf ich das überhaupt?
Wer darf eigentlich wie trauern?
Wer ist wem nah und wer ist wem eher fern?
Wer ist mit dem Herzen verbunden?
Wer hat eine gemeinsame Vergangenheit?
Wer gehört dazu? Wer vielleicht auch nicht?
Wer darf Anmerkungen zu dem Verstorbenen/ der Verstorbenen machen?
Wie nah kommt man seinen Bonuskindern plötzlich?
Ist das angemessen?
Wie tief lässt man die anderen Familienmitglieder in seine Trauer schauen?
Gibt es einen offiziellen „Trauerstatus“ In Patchworkfamilien?
Tod und Trauer birgt wohl in allen Familien viele Unsicherheiten, alte Gefühle tauchen auf, Rollen verschieben sich. In zusammengesetzten Familien ist dieser Teil der Unsicherheit jedoch ungleich größer. Die Trauer ist ein bekanntes Phänomen in Patchworkfamilien. Denn meist ging eine Trennung der Gründung der Patchworkfamilie voraus. Da gab es schon vorher Tränen über den Verlust der Kernfamilie. Es gibt so wenig Rituale für Patchworkfamilien, die in solchen Situationen den Rahmen und auch Halt geben. Viele Selbstverständlichkeiten müssen neu justiert und verhandelt werden. Das gilt sowohl für Trennungen als auch für den Tod in Patchworkfamilien.
Wer sitzt eigentlich wo bei der Beerdigung?
Bei den Angehörigen oder ganz hinten in der letzten Reihe?
Diese Frage scheint so banal und ist doch so wichtig, an einem Tag, an dem jeder/jede von seinen Emotionen überrollt wird, sollte wenigstens das Ritual Halt geben, auch den Blutsverwandten. Doch die normalen Konventionen sind bei Patchworkfamilien nicht immer einzuhalten bzw. anzuwenden.

© Pavel Danilyuk/pexels.de
Ein weiteres Beispiel ist die Bestellung des Trauerkranzes. Dort mussten wir unweigerlich Klartext reden.
„Nein, wir möchten nicht alle Namen auf der Schleife haben. Ach, und die drei Namen gehören auf eine Seite der Schleife und diese Namen hier auf die andere Seite.
Wissen Sie, wir sind eine komplizierte Familie..“., höre ich mich, fast entschuldigend, sagen und merke, wie ich mich über mich selbst ärgere.
Und was steht am Ende auf der Schleife? Alle Namen stehen auf einer Seite, so wie schon immer Schleifen beschriftet wurden. Das ärgert mich dann, auch an so einem Tag, weil es wichtig ist und nicht nur ein nebensächliches Detail.
Ihr denkt, das ist doch an so einem Tag nicht bedeutsam? Das hätte ich, bis vor Kurzem, auch so unterschrieben. Nun muss ich aber zugeben, dass genau diese Dinge wichtig sind, zumindest für die Menschen, die nicht so nah am Verstorbenen waren und nicht so recht wissen, wo denn ihr Platz ist.
Wie einige von euch wissen, lebe ich in der dritten Generation „Patchwork“ und gehe damit selbstbewusst um. In Zeiten, wie diesen, in denen ich empfindsamer und offenporiger bin als sonst, werde ich unsicher in mir. Das Thema „Sterben und Tod“ macht einfach unsicher. In unserer Gesellschaft reden wir nicht so häufig über das Sterben, schon gar nicht über das plötzliche Sterben. Das möchten wir nicht wissen, wahrscheinlich, weil es so furchtbar ist, wenn jemand aus der Tür geht und einfach nicht mehr wieder kommt. Deshalb halten wir es von uns fern, damit es uns bloß nicht plötzlich berührt.
Und dann – ein Anruf in der Nacht und der Tod ist plötzlich da…
Plötzlich ändern sich die Rollen im Familiensystem. Auf einmal ist vielleicht auf der einen Seite nur noch ein Elternteil da und hat ganz viel Raum auszufüllen, der vorher „besetzt“ war oder die Oma vom Ex-Partner verstirbt, zu der jedoch nicht die ganze Familie engen Kontakt hatte
Diese Lücke ist auf einmal da und sie wird bleiben – für immer bleiben. Für die einen wird diese Lücke weniger belastend sein, für die anderen mehr.
So wie das in „normalen“ Familien auch ist. Die Verbindungen zueinander sind unterschiedlich.
Es gibt keinen „Trauer-Knigge“ für Patchworkfamilien!
Bei meiner Recherche konnte ich nur wenig über dieses Thema finden.
„Patchwork“ und „Tod“ sind beides Themen, die gesellschaftlich nicht so häufig besprochen werden und eher am Rand stattfinden, außer wenn eben ein Todesfall oder eine Trennung eintritt. Beides ist unbequem, muss genauer betrachtet werden und ist nicht mit zwei Sätzen zu erklären. Und wenn beides aufeinandertrifft, ist es für viele Menschen schwierig damit umzugehen. Das erklärt auch, warum auch der Freundeskreis unsicher ist und sich vielleicht noch nicht gemeldet hat. Auch sie sind unsicher. Sie wissen nicht, ob sie „herzliches Beileid“ wünschen sollen oder können gar nicht nachspüren, wie es sich für die gesamte Patchworkfamile anfühlt, wenn einer aus dieser besonderen Familienkonstellation stirbt. Eines ist dabei jedoch sicher, es gibt mindestens eine oder einen in diesem System, der/die unglaublich traurig ist und tiefen Schmerz spürt. Und dieser Schmerz und die Trauer sollten gehalten werden, so schwer es auch fällt. Vom sozialen Umfeld, von der Verwandschaft, von Freunden, von der Familie.
Gefühle haben nämlich keine Knigge-Regeln. Sie kommen einfach so daher und drücken aus, was im Inneren los ist. Das kann die ganze Bandbreite von Trauer, Schmerz, Hilflosigkeit, Wut, Ohmacht, Fassungslosigkeit, Aggression, Ärger, Ungeduld und vor allem Empfindsamkeit sein.
Es ist wichtig, dass man diesen Gefühlen Raum gibt.

© cottonbro/pexels.de
Auch wenn der Partner*in um seine(n) Ex weint und trauert. Das darf sein. Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit, die an irgendeinem Punkt, wie auch immer, auseinanderging.
Die Aufrechnung, Konkurrenz, Streitereien über Unterhalt und Wochenendbesuche sind spätesten jetzt vorbei oder zeigen sich noch einmal in einem neuen Gewand.
Wenn Gefühle aus der Zeit der Trennung nicht besprochen sind und nicht gesehen werden durften, kommen sie spätestens jetzt an die Oberfläche und sorgen widerrum für Turbulenzen im System.
Es geht jecoch darum, dem/der Verstorbenen Respekt zu zollen. Für all das, was war. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Denn…es gibt keinen Trauer-Patchwork-Knigge … und den braucht es auch nicht. Wir sind als Familie verbunden und füreinander da – vollkommen egal, wie schwierig Patchwork auch manchmal ist und welche formellen Unsicherheiten es gibt.
Die Trauer nimmt sich ihren Raum. Und wir halten ihn gemeinsam!
Ich wünsche mir, dass das Thema „Patchworkfamilie“ mehr in die Mitte der Gesellschaft rückt und Rituale, Gewohnheiten, gesellschaftliche Regeln den Besonderheiten einer zusammengesetzten Familie angepasst werden. Patchwork ist keine Randerscheinung mehr, schon lange nicht mehr!
Herzlich, Eure Ulla.
Aus Gründen der Pietät habe ich keine näheren Angaben zu Personen gemacht und versucht, den Artikel allgemein und dennoch persönlich zu gestalten.
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Ich selbst lebe nun in dritter Generation das Patchworkleben und kann sagen, dass ich darin Expertin bin. Ich habe meine private und berufliche Expertise zusammengeführt und arbeite seit 2019 selbstständig online und in eigener Praxis im Ruhrgebiet.
Ich bin Dipl.-Sozialarbeiterin, systemische Familienberaterin, habe vor vier Jahren meinen Master an der IPU Berlin absolviert, unterrichte als Dozentin an der Uni, und leite das Frauennetzwerk „Ruhrpreneurs“.
Direkt zur Homepage von Ulla Grans: www.ulla-grans-coaching.com
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