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Wie viel Sex macht uns wirklich glücklich?


von Anja Drews

Wir wollen immer mehr. So ist das in unserer Leistungsgesellschaft: Mehr Anerkennung, mehr Gehalt, mehr Status. Mehr Schuhe. Das wirkt sich auch auf unser Liebesleben aus. In den Medien sehen wir, dass Sex scheinbar immer und überall stattfindet. Und sollte es einmal nicht so sein, unterstützen Pharma-Unternehmen diese Illusion mit einem bunten Potpourri an Lifestyle-Produkten. Geht nicht, gibt’s nicht. So verfestigt sich in uns das Bild, immer und ständig Lust haben und bereit für ein Schäferstündchen sein zu müssen. Aber ist mehr hier wirklich besser? Oder ist weniger nicht am Ende doch mehr?

Wie viel Sex macht uns wirklich glücklich?
© heftiba/unsplash

Im November 2015 wurde eine kanadische Studie veröffentlicht, die endlich für Klarheit sorgen könnte. Die Psychologin Amy Muise und ihre Kollegen von der Universität in Toronto befragten 30.000 Frauen und Männer. Sie fanden heraus, dass Paare, die einmal in der Woche Sex haben, zufriedener seien. Sie seien zufriedener als Paare, die weniger Sex haben. Aber es gibt noch eine andere Seite. Denn sie seien nicht weniger zufrieden als Paare, die mehr Sex haben. Ist das vielleicht die viel gesuchte Zauberformel, nach der wir unsere innere Sex-Uhr stellen können? Einmal in der Woche reicht völlig aus für Wohlbefinden und eine gelungene Beziehung. Basta. Mehr ist gar nicht nötig, wenn sich mehr Sex nicht lohnt oder zumindest nicht zufriedener macht. Doch was fangen wir nun wirklich mit dem Ergebnis dieser Studie an? Können wir das so verallgemeinern?


Wir alle haben unsere eigenen Bedürfnisse

Wir alle haben unsere eigenen Bedürfnisse
© heftiba/unsplash
Nein, das geht natürlich nicht. Denn dazu sind wir doch alle viel zu verschieden. Für manchen ist Sex womöglich das wichtigste Ausdrucksmittel für Liebe, während er für andere noch nie ein großes Thema war. Wir bringen ganz individuelle Voraussetzungen mit. Dazu dürfen wir nicht vergessen, dass wir sowohl in jüngeren Jahren als auch zu Beginn einer Beziehung mehr Sex haben. Zumindest statistisch betrachtet. Paare in den Zwanzigern schlafen bummelig zehn Mal im Monat miteinander, Paare in den Siebzigern einmal im Monat.

Bei diesen Zahlen stellt sich mir natürlich sofort die Frage, wie wir Sex überhaupt definieren. Ist das nur Geschlechtsverkehr, der ja immer wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht? Oder zählt dazu auch alles andere? Damit würden die Zahlen nicht nur bei den älteren Paaren gleich viel höher liegen. Denn gerade hier nehmen auch andere sexuelle Praktiken und vor allem Zärtlichkeit einen sehr hohen Stellenwert ein. Es muss gar nicht immer auf den „richtigen“ Sex hinauslaufen.

Mal ganz abgesehen von der Frage nach der Definition wird gerade beim Thema Sex geschummelt, dass sich die Balken biegen. Und dabei geht es nicht nur darum, vor jemand anderem gut dazustehen. Nein, auch vor uns selber wollen wir lieber nicht zugeben, dass wir vielleicht nicht so toll sind, wie wir es von uns erwarten. Damit setzen wir uns übrigens selber so unter Druck, dass es sein kann, dass die Lust von allein flöten geht. Aber das nur nebenbei.

Auch in unseren Beziehungen durchlaufen wir unterschiedliche Phasen. In der Zeit des Kennenlernens und des gegenseitigen Beschnupperns ist Sex eine großartige Möglichkeit, uns näher zu kommen. Statistisch betrachtet haben wir in dieser Zeit mehr Sex. Unsere Gedanken quellen nur so über vor Lust und Begehren. Einmal in der Woche Sex? Nein! Am Besten jeden Tag und jede Minute. Irgendwann jedoch beruhigen sich die Hormone wieder, die berühmte rosarote Brille wird klarer und plötzlich erinnern wir uns wieder an den Rest unseres Lebens. Der Liebesrausch lässt nach, lässt uns durchatmen. Sex bleibt weiterhin wichtig. Dazu haben wir aber noch andere Möglichkeiten, uns nahe zu sein. Schließlich kennen wir einander jetzt besser. Dennoch fragen wir uns, wo nur die überbordende Lust der Anfangszeit geblieben sein mag. Wenn jetzt noch Kinder dazu kommen, kann es in vielen Schlafzimmern ziemlich still werden. Mal abgesehen vom Babygeschrei. Hopfen und Malz sind jedoch nicht verloren: In dieser neuen Rolle als Eltern können wir uns sexuell noch einmal ganz neu entdecken. Dasselbe gilt auch für die Phase, in der die Kinder später das Haus verlassen. Überall lauern Stolpersteine. Überall lauern aber auch neue Chancen.


Was genau ist dieses „eine Mal“ aus der Studie?

Wer einmal in der Woche Sex hat, sei zufriedener, besagt die Studie. Diese einfache Zahl sagt jedoch nichts über die Qualität der Beziehung oder die Qualität des Liebeslebens aus. Wir durchleben Zeiten, in denen wir uns grundsätzlich nicht verstehen, in denen wir uns nicht mehr miteinander übereinander austauschen und in denen wir nur nebeneinander her leben. In diesen Zeiten kann auch der Sex schnell farblos werden. Die Lust geht uns abhanden oder wir drängen unsere Partnerin oder unseren Partner zu etwas, was wir selber in dieser Form eigentlich gar nicht wollen. Der Sexualpsychologe Christoph Ahlers nennt das Gnadensex. Damit sind beide nicht glücklich.

Warum sollte dieses eine Mal Sex in der Woche etwas daran verändern? Es ist doch eher umgekehrt: Verstehen wir uns gut und achten wir aufeinander, geben wir uns gegenseitig das Gefühl, wichtig füreinander zu sein, stärken wir damit unsere Beziehung. Dadurch zeigen wir der oder dem anderen unsere Liebe. Und dann ist es völlig egal, wie oft wir miteinander schlafen.


Richten wir unseren Blick lieber nach innen und nicht nach außen

Lösen wir uns davon, beim Sex eine Formel für richtig, für falsch oder für normal zu finden. Schon gar nicht müssen wir immer Lust aufeinander haben. Manchmal gibt es das gemeinsame Leben gerade einfach nicht her und trotzdem können wir zufrieden und glücklich sein. Es gibt beim Sex keine Formel und es gibt keine Normalität. Das ist in vielen unserer Lebens- und Beziehungsphasen nicht machbar. Lösen wir uns vor allem davon, immer auf die anderen zu schauen. Nur weil wir ein größeres Auto oder Haus als die Nachbarn haben, sind wir nicht automatisch glücklicher. Nur weil wir mehr Sex als die anderen haben, sind wir nicht automatisch erfüllter.

Und so stellen auch die PsychologInnen der Studie fest: "Vielleicht fühlen sich Paare zufrieden, solange sie meinen, dass sie so oft Sex haben, wie der Durchschnitt der Paare in ihrem Alter." Für jeden Menschen und für jedes Paar gilt etwas anderes. Was uns gut tut, hilft anderen unter Umständen so gar nicht weiter. Viel wichtiger ist es doch, dass wir uns mit dem wohlfühlen, was wir haben. Und dann ist es egal, wie oft wir miteinander schlafen. Dass wir uns aber wohlfühlen, liegt nicht wirklich am Sex sondern vielmehr an der Art der Beziehung. Wenn wir uns wirklich nahe sind und im emotionalen Austausch stehen, kann weniger Sex genau richtig sein. Oder auch mehr Sex. Oder vielleicht sogar gar kein Sex.



Anja Drews
© Anja Drews
Anja über Anja:
Warum ist Sexualität das Beste, was uns im Leben passieren kann? Und was genau hat Sex eigentlich damit zu tun? Neugierig und mit tausend eigenen Fragen rund um eines der lustvollsten, aber auch verletzlichsten Themen des Menschseins, stürzte sich Anja mit Mitte 20 in das Studium der Sexualwissenschaften.
Wissenschaftliche Antworten, persönliche Gedanken und ermutigende Inspirationen der Sexologin sind mittlerweile aus zahlreichen Print- und Online-Veröffentlichungen sowie Videos und Podcasts bekannt. 

Eine Freundin über Anja
: Sexualität zählt zu den essentiellen Lebensbereichen. Sich lebendig und mit sich selbst wohl zu fühlen, ist untrennbar daran geknüpft. Wer Anja in ihren Räumen in Hamburg aufsucht, begegnet einer erfahrenen Sexualtherapeutin. Vor allem aber trifft man eine lebenskluge Frau, die mit unvergleichlichem Esprit und wohltuender Integrität Menschen dabei begleitet, Sexualität als das zu erfahren, was sie ist: Das Beste, was uns passieren kann.






Alles über Sexualität
© Anja Drews
www.anjadrews.de
www.die-sexualitaet.de





*(http://spp.sagepub.com/content/early/2015/11/16/1948550615616462.abstract)
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