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Besser als ein vorgetäuschter Orgasmus ist ein echter Orgasmus
von Anja DrewsEine der bekanntesten Filmszenen der Filmgeschichte ist und bleibt wohl der vorgetäuschte Orgasmus von Meg Ryan in der Komödie „Harry und Sally“. Aber was war nur so besonders daran? Schließlich gab es auch schon Ende der 1980er eine nicht zu unterschätzende Pornoindustrie, die laut stöhnende Frauen am Fließband produzierte. Auch der weibliche Orgasmus war dank der Studien von Masters und Johnson längst ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Aber bei all der vermeintlichen Offenheit gab es immer noch ein Tabuthema. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Die Rede ist vom vorgetäuschten Orgasmus. Genau diesen holte Meg Ryan mit ihrer Showeinlage direkt ins bürgerliche Wohnzimmer. Es gab kein Entkommen mehr. Alle hatten jetzt davon gehört, alle Welt sprach jetzt darüber. Aber keiner hatte ihn je erlebt...
© sauvageisland/unsplash
Keine reine Frauensache
Keiner tut es und jede/r würde es sofort merken, dass das da gerade nicht echt war. So heißt es gern, wenn das Thema auf den Tisch kommt. Ja, wirklich? Sind Sie wirklich sicher, dass das Stöhnen Ihrer Partnerin, das sich Winden und Anspannen gerade ein echter Orgasmus war? Ich sprach einmal mit einem Mann, der mir sehr ernsthaft und glaubwürdig versicherte, es sofort zu bemerken, wenn seine Partnerin ihm etwas vorspielen würde. Das war ihm auch derart wichtig, dass er sogar kontrollierte, ob sie auch wirklich gekommen war - wie auch immer er das anstellte. Es sei ihm ein Beweis für seine Qualitäten als guter Liebhaber. Puh, dachte ich, was für ein Druck da auf den beiden lasten musste! Ihr Höhepunkt als Bestätigung, dass er gut im Bett ist. Da würde zumindest mir sofort die Lust vergehen.
Frauen sind da noch weit rigoroser und winken gleich ab. Nein, Männer können doch gar nicht vortäuschen! Immerhin ist das Ejakulat ein sichtbares Zeichen ihrer Lust. Doch abgesehen davon, dass sich Orgasmus und Ejakulation trennen lassen und manche Männer aus anatomischen Gründen gar nicht ejakulieren können, stellt sich doch die Frage, ob Frauen tatsächlich darauf achten. Etwas, das es nicht zu geben scheint, hinterfragen wir auch nicht. Wir Frauen kommen ja gar nicht erst auf die Idee, den Orgasmus des Mannes in Frage zu stellen. Oder haben Sie schon einmal im Kondom nachgeschaut, ob sich darin auch wirklich etwas von dieser verräterischen Flüssigkeit befindet? Vielleicht haben Sie sich schon einmal gewundert, dass da nicht so viel Sperma war wie sonst. Aber beim Einsatz von viel Gleitmittel oder nach einer ausgedehnten Kneipentour denken wir auch nicht weiter darüber nach.
Die Pandemie des Vortäuschens
Ich will nicht behaupten, dass jede/r es schon einmal getan hat. Aber es sind viele. Sie fragen jetzt vermutlich nach genauen Zahlen. Diese könnten wir dann als einen Gradmesser für Normalität betrachten. Aha, jede zweite Frau und jeder dritte Mann hat es schon einmal getan. Und dann? Wäre es dann ok? Wäre es normal? Nein, denn in jedem einzelnen Fall steckt eine persönliche Geschichte dahinter. Und wenn es auch Menschen geben mag, die mit einem Achselzucken vortäuschen, so ist es doch für viele eine eher belastende Erfahrung.
Außerdem kommen unterschiedliche Studien zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Je nach Stichgruppe und Fragestellung. Wenn wir zum Beispiel fragen, wer schon JEMALS im Leben einmal vorgetäuscht hat, liegen die Zahlen weitaus höher als bei der Frage nach jenen, die es häufiger oder sogar dauerhaft tun. Ich finde die genauen Ergebnisse auch gar nicht so wichtig, denn natürlich biegen sich auch bei diesen Befragungen die Balken. Schließlich wird nirgendwo so viel gelogen wie beim Thema Sexualität.
© bekahrussom/unsplash
Männer sind keine Maschinen
Aber warum täuschen so viele Menschen vor? Der Orgasmus ist und bleibt in unserer Gesellschaft das höchste Gut beim Sex. Für viele ist er tatsächlich ein Gradmesser der sexuellen Lust, auch wenn nicht alle dabei so rigoros wie der Mann oben aus dem Beispiel sind. Wir Frauen sind es einfach gewöhnt, dass unser Partner kommt. Immerhin kommen Männer beim gemeinsamen Sex deutlich häufiger als Frauen. Nehmen wir hier allerdings den Sex unter Frauen oder den Solosex hinzu, ändern sich die Zahlen deutlich zu Gunsten der Frauen. Das nur nebenbei bemerkt.
Nicht selten beendet in der heterosexuellen Paarkonstellation die männliche Ejakulation das Liebesspiel. Das ist für uns so normal wie die Butter auf dem Brot. Kommt er hingegen nicht, oh oh, stellen wir Frauen uns sofort in Frage. Findet er mich nicht mehr attraktiv? Hat er eine andere? Habe ich etwas falsch gemacht? Vielleicht fragen wir ihn einfach, vielleicht lassen wir ihn unbewusst merken, dass da etwas fehlt.
Und natürlich ist das für ihn selber ebenfalls eine hochdramatische Angelegenheit. Männer kommen schließlich immer, so heißt es. Zuverlässig wie eine Dampfmaschine hämmern sie im Takt und lassen am Ende auf ganz fulminante Weise Dampf ab. Aber so ist das nicht. Auch Männer sind störanfällig. Oh ja! Und wenn er dann nicht kann, weil er müde ist, gestresst, abgelenkt, betrunken, Medikamente nimmt oder ihn eine tief sitzende psychische Problematik hemmt, dann müsste er das womöglich erklären. Aber vielleicht weiß er selber nicht, warum er nicht kommen kann und was soll er denn dann nur sagen? Also greift er zur Notlüge und tut so, als sei alles in bester Ordnung. Um des lieben Friedens willen, um schnell schlafen zu können, um sie glücklich zu machen.
Frauen, die selbstlosen Wesen
Wenn Frauen besser darin wären, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, wäre die Welt eine andere. Vor allem, wenn sie dann auch noch gehört würden. Nicht nur in sexueller Hinsicht. Aber das ist hier nicht mein Thema. Frauen lernen früh, sich auf die Bedürfnisse anderer einzustellen. Auch und gerade in sexueller Hinsicht. Daran ändert sich auch in der jungen Generation leider noch nicht viel. NATÜRLICH gibt es Ausnahmen. Trotzdem steht weiterhin der Orgasmus des Mannes für sehr viele Frauen an erster Stelle. Dass dies auch Druck auf Männer ausübt, habe ich ja gerade beschrieben. Aber dieser Mann hat ja zusätzlich noch die heikle Aufgabe, seiner Partnerin ebenfalls einen fulminanten Höhepunkt zu verschaffen. Er muss also auf sich und seine Partnerin acht geben. Aber warum eigentlich? Warum ist es Sache des Mannes, für das erotische Glück seiner Partnerin zu sorgen? Warum ist er egoistisch, wenn er das nicht tut? Warum kann sie das nicht selber?! Warum kann sie nicht selber für sich sorgen? Na, weil wir nicht so erzogen werden.
Wir Frauen können besser geben als empfangen. Es sich machen zu lassen, fällt vielen Frauen sehr schwer. Und so wissen wir ganz genau, was wir tun oder sagen müssen, um unseren Partner schnell auf Hochtouren zu bringen. Eine Frau drückte es einmal so aus: „Ich weiß ganz genau, mit welchen Handgriffen ich ihn schnell zum Kommen bringen. Warum kann er das nicht auch bei mir?“ Und ich fragte: „Hast du ihm das denn schon einmal gesagt oder gezeigt?“ „Nein!“ kam empört zurück. „Das muss er doch selber wissen!“ Ja, aber woher denn?
Der erotische Körper ist wie ein handgearbeitetes Musikinstrument. Jeder ein Einzelstück mit einer ganz individuellen Partitur der Lust. Leider fehlen uns oft selber die Noten. Wir wissen nicht, was wir für unsere eigene Erregung und Befriedigung brauchen. Wie oft spreche ich in meiner Praxis mit Frauen jeden Alters, die gar keine oder vielleicht eine vage Idee davon haben, was sie sich wünschen. Und dann sollen sie beim Sex plötzlich vor Lust erbeben und durch ein paar gekonnte Stöße in ihre Vagina zum Orgasmus kommen. Ja, es gibt Frauen, bei denen das klappt, ganz zuverlässig sogar. Aber die meisten, wage ich zu behaupten, können das nicht. Nicht so. Da sie aber nicht reden oder nicht wissen, bleibt ihnen keine andere Wahl als ihrem Partner vorzugaukeln, alles sei in bester Ordnung und er der beste Liebhaber der Welt. Wäre er ja vielleicht auch, wenn sie ihn nur ließe.
© heftiba/unsplash
Raus aus der Orgasmusfalle!
In einer längeren Partnerschaft kann das Vortäuschen allerdings zum richtigen Problem werden. Wenn ich dauerhaft etwas mache, das mir nicht gefällt, habe ich nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern kann komplett die Lust am Zusammensein verlieren. Dies kann sich bis zur regelrechten Abneigung gegen jedwede Art von Berührung auswachsen. Wenn ich auf der anderen Seite felsenfest davon überzeugt bin, meiner Partnerin oder meinem Partner gefällt, was wir da miteinander veranstalten, kann ich richtig verletzt sein, wenn sich das Gegenteil herausstellt. Das kann das Vertrauen erschüttern.
Hier möchte ich allerdings direkt einwerfen, dass niemand aus böser Absicht vortäuscht. Niemand sagt sich, ach, ich führe meine Partnerin oder meinen Partner jetzt einmal so richtig an der Nase herum. Wir wollen ja gerade niemanden verletzen und stattdessen sogar zeigen, wie schön es doch zusammen ist. Wie wollen nur nicht darüber reden, Diskussionen aus dem Weg gehen oder unserer Angst, nicht gut genug zu sein. Kommt also meine Partnerin oder mein Partner auf mich zu, darf ich verletzt sein, sollte mich aber auch gleichzeitig fragen, was meine Anteile daran sind. Wie konnte es soweit kommen? War ich nicht aufmerksam genug, habe ich keinen Raum für Veränderung gelassen? Reden wir zu wenig?
Es hilft auch nicht, darauf zu warten, dass der/die andere schon von allein darauf kommt, wie sich meine Wünsche gestalten. Also muss ich das selber in die Hand nehmen. Auch als Frau. Dazu muss ich mich mir selber stellen und herausfinden, was ich möchte oder was mich hindert. Wer hat gesagt, dass der Weg einfach ist? Anschließend dann kann ich meine Partnerin oder meinen Partner einladen, diesen Weg mit mir zu gehen. „Hast du nicht Lust, dieses oder jenes mit mir auszuprobieren? Ich glaube, das könnte mir gefallen!“ wäre ein solche Einladung, die Luft zum Nachdenken lässt und Möglichkeiten eröffnet.
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Manchmal ist die ganze Situation aber auch schon richtig verfahren. Nicht selten stecken bei beiden Geschlechtern tiefliegende unbewusste Ängste dahinter. Angst vor Kontrollverlust, Angst vor zu viel Nähe, Angst vor Verschmelzung. Der ausbleibende Orgasmus ist dann als Symptom für diese Ängste zu betrachten. Eine unrealistische Erwartungshaltung, Leistungsdruck und sexuelle Mythen spielen ebenso mit hinein. Hier ist es nicht damit getan, neue Praktiken oder Handgriffe auszuprobieren. In meiner Praxis begegnen mir Menschen, die verunsichert sind, weil sie nicht richtig „funktionieren“, deren Beziehung am fehlenden Finale zerbrochen ist. Lassen Sie es nicht soweit kommen! Holen Sie sich Unterstützung, allein oder als Paar. Kommen Sie zu mir oder zu meinen Kolleginnen und Kollegen!
© Anja Drews
Anja über Anja: Warum ist Sexualität das Beste, was uns im Leben passieren kann? Und was genau hat Sex eigentlich damit zu tun? Neugierig und mit tausend eigenen Fragen rund um eines der lustvollsten, aber auch verletzlichsten Themen des Menschseins, stürzte sich Anja mit Mitte 20 in das Studium der Sexualwissenschaften. Wissenschaftliche Antworten, persönliche Gedanken und ermutigende Inspirationen der Sexologin sind mittlerweile aus zahlreichen Print- und Online-Veröffentlichungen sowie Videos und Podcasts bekannt.
Eine Freundin über Anja: Sexualität zählt zu den essentiellen Lebensbereichen. Sich lebendig und mit sich selbst wohl zu fühlen, ist untrennbar daran geknüpft. Wer Anja in ihren Räumen in Hamburg aufsucht, begegnet einer erfahrenen Sexualtherapeutin. Vor allem aber trifft man eine lebenskluge Frau, die mit unvergleichlichem Esprit und wohltuender Integrität Menschen dabei begleitet, Sexualität als das zu erfahren, was sie ist: Das Beste, was uns passieren kann.
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