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Mein Dilemma mit dem Frieden schaffen



von Uwe Bjorck

Es gibt wohl kaum Menschen unter uns, die nicht entsetzt darüber sind, dass es einen Krieg in Europa gibt. Und es ist ein sehr brutaler und gemeiner Krieg ohne jegliche Fairness. Wie sollte es auch anders sein? Es gibt keinen Sportsgeist im Krieg.

Panzer schießen in Wohnsiedlungen, Bomben zerstören Krankenhäuser und dort, wo neues Leben zur Welt kommen soll, bricht eine Bombe durch die Wände einer Entbindungsstation. Krieg ist etwas Fürchterliches. Darin werden wir uns alle einig sein. Und in einer solchen Zeit denke ich manchmal, dass nicht Krieg die Fortsetzung einer falschen Politik ist, sondern die Politik die Fortsetzung einer grundsätzlich falschen Gewalt.


Mein Dilemma mit dem Frieden schaffen
© Sima Ghaffarzadeh/pexels.com


Was bedeutet dieses „Frieden schaffen ohne Waffen“?

Da ist es für mich völlig verständlich, wenn nun viele Menschen ausrufen: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Denn es sind ja diese modernen Waffen, die Krankenhäuser und Schulen zerstören und die diese kriegerische Gewalt zu ihrer Anonymisierung benötigt.

Nur was bedeutet dieses „Frieden schaffen ohne Waffen“?

Wir lebten lange in einer Zeit des Friedens. Wir lebten gemeinhin ohne Waffen. Und wir mussten niemals einen Frieden schaffen, sondern konnten ihn erhalten, indem wir die Gewalt zum großen Teil aus unserem Leben und unseren Vorstellungen verbannten. Diese Gewalt gab es immer nur in weiter Entfernung und in den Medien. Sie war nie in den Ruinen unseres Nachbarhauses zu finden.

Wo ist dann also für uns das „Schaffen“ in der Forderung, Frieden ohne Waffen schaffen zu müssen? Was schaffen wir denn mit dieser Forderung? Ich denke, wir schaffen nicht einmal einen Konsens innerhalb unserer Gesellschaft, denn niemand würde dem widersprechen, dass ein Leben in Frieden schöner und lebenswerter ist, als ein Leben im Krieg.



Frieden schaffen, wo Friede ist?

Frieden schaffen ohne Waffen geht also nicht ohne dieses Schaffen. Sonst wäre es nur ein Frieden ohne Waffen. Das leben wir und es ist zweifelsohne angenehm. Aber geschaffen haben wir somit noch nichts. Wir können dieses Frieden schaffen nicht einmal vorleben. Lediglich ein Leben ohne Krieg können sich andere bei uns abschauen. Was sollen sie aber daraus lernen können?

Ich befürchte, nicht mehr, als dass dieses Leben möglich ist. Diesen Frieden haben wir uns nicht geschaffen. Er entstand im kriegerischen Europa durch Beendigung der beiden grausamsten Kriege der Weltgeschichte. Für den ersten war Deutschland zum großen Teil mitverantwortlich, für den zweiten trug unser heute im weltweiten Vergleich so friedliches Deutschland die alleinige Verantwortung. Ich denke, niemand von uns, die wir uns nun mit der Frage beschäftigen, wie Friede zu schaffen sei, hat etwas dazu beigetragen. Wir haben es gut und leicht.



Müssen wir uns in die Gewalt hineinbegeben?

Als Mahatma Gandhi seinen Friedenszug begann und auch, als Martin Luther King mit seiner Menschenrechtsbewegung nach Alabama marschierte, begaben diese Menschen sich unbewaffnet in eine große Gefahr und in die vorherrschende Gewalt hinein. Viele verließen ihre friedlichen Familien, Wohnungen und Häuser, in denen es friedlich zuging. Anders war es auf den Straßen und noch ganz anders an den Fronten zur allgegenwärtigen Gewalt.

War das nicht ein Frieden schaffen ohne Waffen? Können wir so etwas überhaupt tun? Wäre das die eigentliche Konsequenz dieses Ausrufs?


Müssen wir uns in die Gewalt hineinbegeben?
© Disha Sheta/pexels.com


Welche Waffe niederlegen, wenn ich keine habe?

Als junger Mann war ich in den 1980ern selbst mehrere Jahre bei der Bundeswehr. Und da ich mir nicht gerne von jedem nur durch hierarchische Strukturen legitimiertetwas befehlen lassen wollte, strebte ich die höhere Laufbahn an, die mir in den paar Jahren möglich war.

Ich kann mich noch sehr gut an das Feindbild erinnern, dass meiner Erfahrung nach in der Gesellschaft stärker vorherrschte, als in der Bundeswehr selbst. Wir lebten im Kalten Krieg und von überall posaunte es, der „böse Russe“ könnte uns angreifen. Deutschland war bis an die Zähne bewaffnet und es gab die Wehrpflicht. Trotzdem wurden wir bei der Bundeswehr dazu verpflichtet, uns den Film „The day after“ anzuschauen. Wir erhielten Unterricht über gewaltlosen Widerstand und lernten die Strategien und Taktiken Mahatma Gandhis und von Martin Luther King. Es gab selbstverständlich Offiziere, denen das fast wie Wehrkraftzersetzung anmutete. Aber je stärker diese überwiegend älteren Semester protestierten, desto stärker wuchs die Anzahl derjenigen, die sich mit dem Thema der Gewaltlosigkeit und dem Frieden schaffen ohne Waffen beschäftigten. Der Unterschied zu heute war, dass wir eine Waffe hatten, die wir niederlegen konnten. Konnte eine Armee, die sich mit den Strategien und Taktiken eines gewaltfreien Widerstandes beschäftigte, und das nicht, um ihn zu brechen, sondern um ihn anzuwenden, grundsätzlich schlecht und brutal sein?



Die innere Gewalt ablegen.

Und an noch etwas kann ich mich erinnern: Erst nachdem ich zum ersten Mal eine Handgranate geworfen oder mit einer Panzerfaust geschossen, erst nachdem ich den schießwütigen Kompaniechef neben mir beobachtet hatte, wie er laut lachend mit einem Maschinengewehr eine Birke fällte, erkannte ich nicht nur die wirkliche Gefahr und Macht dieser Waffen, sondern mir wurde bewusst, was deren Anwendung in mir selbst auslöste. Wie es mich verändern könnte, wenn ich allein schon in der Beobachtung ein Vergnügen daran finden würde, so wie ich es vielleicht unbewusst in Kinofilmen erlebte. Frieden schaffen ohne Waffen ist für mich seitdem nicht allein eine symbolische Forderung. Es ist eine bewusste Handlung gegen etwas, was in mir und wohl auch in vielen Menschen neben mir steckt. Ich halte mich nicht für eine Ausnahme.

Ist dann dieses „Frieden schaffen ohne Waffen“ vielleicht nur eine Phrase, wenn nichts geschaffen wird und wenn nicht bewusst wird, dass mit Waffe nicht nur die Sache gemeint ist, sondern vielleicht auch ein Teil der menschlichen Natur, von dem ich mich befreien kann?



Was sind meine Konsequenzen?

Um es zum Schluss auf die Spitze zu treiben: Wäre die Konsequenz des Frieden schaffen ohne Waffen nicht die, ganz bewusst den Frieden, der einem geschenkt wurde, zu verlassen, um sich dann mental wie auch dinglich bewaffnet in einen Krieg hineinzubegeben und dort beide Waffen, die innere wie die dingliche, niederzulegen? Und wäre es nicht erst dann ein Beispiel, dem andere überhaupt folgen könnten?

Ich befürchte zwar, dass kaum jemand diesen Schritt unverletzt überstehen würde und ich möchte auch nicht, dass sich eine solche Armee der Friedfertigen auf ein Schlachtfeld begibt, um irgendeinen unbeobachteten Märtyrertod zu sterben. Das einzige, was ich will, ist neben dem Frieden auf das Dilemma hinzuweisen, in dem vielleicht nicht nur ich stecke. Vielen Dank!



Uwe Bjorck über Uwe Bjorck:

Uwe Bjorck
© Uwe Bjorck
 Ich kam im Jahre 1958 als wetterfester Ostfriese auf die Welt. Nach meinem Abitur habe ich vier Semester Kommunikationswissenschaft studiert. Dies jedoch ohne Abschluss, weil ich die Möglichkeit hatte, ein Jahr in Südtunesien zu leben. Ich arbeitete fast 30 Jahre in international tätigen Werbe- und PR-Agenturen und schloss ein berufsbegleitendes Studium zum Diplomkaufmann ab.

Nebenbei schrieb ich immer Kurzgeschichten und Lyrik und veröffentlichte mit der Bremer Schauspielerin Bico Lange den Lyrikband unbeschirmt. Gleichzeitig wurden Gedichte und Kurzgeschichten von mir in einigen Anthologien veröffentlicht. Im Jahr 2009 beschloss ich, mich von der Erwerbsarbeit zurückzuziehen und zog in das schöne Bremen, wo ich meine Frau kennenlernte. Heute bin ich Hausmann, mache Musik mit meiner Band und engagiere mich stark für das bedingungslose Grundeinkommen. Seit Februar 2021 bin ich erster Vorsitzender der Partei Grundeinkommen für Alle, GFA. (www.gfa-partei.de)

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