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"Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment." Ferdinand von Schirach liest im Düsseldorfer Schauspielhaus


von Annette Maria Böhm

Das Wort Synästhesie ist abgeleitet von den altgriechischen Wörtern syn (= zusammen) und aisthesis (= Empfinden) und ist das Resultat einer spezifischen Vernetzung im Gehirn, die relativ selten vorkommt. Der zusätzliche Kanal der Wahrnehmung ermöglicht es dem Synästhetiker z.B. Buchstaben zu Sehen und gleichzeitig zu Fühlen, oder Worte zu Schmecken.

Musik und Töne in bunten Farben zu Sehen, sogenanntes “Farbenhören”, aber auch Menschen, Emotionen, Berührungen und Zeiteinheiten wie Wochentage oder Monate können Farbeindrücke auslösen. Zeiteinheiten können auch in Form einer geometrischen Anordnung im Raum wahrgenommen werden, und der Geschmack von Nüssen kann eine bestimmte Form- oder Geräuschwahrnehmung hervorrufen. Jeder Synästhet ( ich mag das Wort einfach lieber) scheint seine einzigartigen synästhetischen Erfahrungen zu haben.


Ferdinand von Schirach
© Ferdinand von Schirach


Der Ton ist - typisch für Bestsellerautor Ferdinand von Schirach - unaufgeregt, fast sachlich. Die erste Geschichte die er im Düsseldorfer Schauspielhaus vorträgt, nimmt mich sofort gefangen. Der Protagonist, hinter dem man gleich den Autor vermutet, versucht sich zu trösten mit einem Text von Kleist und mit Whisky.

"Kaffee und Zigaretten" beginnt mit seiner Kindheit - das erste Trauma ist das Jesuiteninternat, das zweite der Tod des Vaters.


"Der Fahrer bringt ihn weg von seinem Zuhause, weg von den Chinoiserien, den bemalten Seidentapeten und den Vorhängen mit den bunten Papageien."


"Sein Vater stirbt, als er 15 Jahre alt ist. Er hatte ihn schon viele Jahre nicht mehr gesehen, die Eltern trennten sich früh. Sein Vater schickte Postkarten ins Internat, Straßenansichten aus Lugano, Paris und Lissabon. Einmal kam eine Karte aus Manila, vor dem weißen Malacañang-Palast stand ein Mann in hellem Leinenanzug. Er stellt sich vor, dass sein Vater aussah wie dieser Mann. Der Direktor des Internats gibt ihm Geld für die Zugfahrkarte nach Hause. Er nimmt keinen Koffer mit, weil ihm nichts einfällt, was er einpacken könnte. Nur ein Buch hat er dabei, das Lesezeichen zwischen den Seiten ist die Postkarte aus Manila."


Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment. Ferdinand von Schirach liest im Düsseldorfer Schauspielhaus
© Felix Schodrok
Nach der dritten Geschichte gibt es Kaffee und ein Gespräch mit Schauspielhaus-Dramaturgin Janine Ortiz, die eigentlich Nichtraucherin ist, sich jetzt allerdings eine Zigarette ansteckt. „Sie sind mein erster Gast, der auch raucht.“ Die Fragen der Theaterfrau, die eher durch Gesten kommuniziert, nimmt der Autor zum Anlass, Anekdoten zum Besten zu geben. Hier ist er ganz Gentleman mit Esprit, der charmant um sein Publikum wirbt. Die Besucher im ausverkauften Haus sind entzückt.

Ob er sich vorstellen könne, Theater zu spielen? Sein neues Stück „Gott“, das vom Sterben handelt, werde ja im nächsten Jahr in Düsseldorf uraufgeführt, lautet die letzte Frage. Vielleicht wolle er eine Rolle übernehmen? „Eher nicht.“ Sein Blick geht dabei allerdings ins Publikum... .  Ich werde den Eindruck nicht los, dass ihm Applaus an dieser Stelle gefallen hätte. Ferdinand von Schirach als Schauspieler.



Kaffee und Zigaretten
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Ferdinand von Schirach (Autor)
Kaffee und Zigaretten
Gebundenes Buch
Ferdinand von Schirachs neues Buch "Kaffee und Zigaretten" verwebt autobiographische Erzählungen, Aperçus, Notizen und Beobachtungen zu einem erzählerischen Ganzen, in dem sich Privates und Allgemeines berühren, verzahnen und wechselseitig spiegeln. Es geht um prägende Erlebnisse und Begegnungen des Erzählers, um flüchtige Momente des Glücks, um Einsamkeit und Melancholie, um Entwurzelung und die Sehnsucht nach Heimat, um Kunst und Gesellschaft ebenso wie um die großen Lebensthemen Ferdinand von Schirachs, um merkwürdige Rechtsfälle und Begebenheiten, um die Idee des Rechts und die Würde des Menschen, um die Errungenschaften und das Erbe der Aufklärung, das es zu bewahren gilt, und um das, was den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht. In dieser Vielschichtigkeit und Bandbreite der erzählerischen Annäherungen und Themen ist "Kaffee und Zigaretten" das persönlichste Buch Ferdinand von Schirachs.

"Wir müssen verstehen, wie wir wurden, wer wir sind. Und was wir wieder verlieren können. Als sich unser Bewusstsein entwickelte, sprach ja nichts dafür, dass wir einmal nach anderen Prinzipien handeln würden, als unsere Vorfahren. Aber wir gaben uns selbst Gesetze, wir erschufen eine Ethik, die nicht den Stärkeren bevorzugt, sondern den Schwächeren schützt. Das ist es, was uns im höchsten Sinn menschlich macht: die Achtung vor unserem Nebenmenschen."


Im Anschluss wird er einen Vortrag zum Thema "Aufklärung" halten. Es scheint dem Strafrechtler und Enkel eines hochrangigen Nazis ein Grundbedürfnis zu sein um die Wahrung der Menschenwürde zu ringen:

"Es ist ohnehin ein Irrtum zu glauben, nur weil einer Bücher schreibt, wüsste er irgendetwas besser. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich in den dreißig Jahren in meinen beiden Berufen gelernt habe: Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen, wir alle sind gut und böse zugleich und ergeben trotzdem ein halbwegs plausibles Ganzes. Und mit unserer Gesellschaft ist es nicht anders. Sie ist nicht homogen, sondern gespalten, vielschichtig und völlig durcheinander. Wir glauben an Gott, Allah, Buddha, an das fliegende Spaghettimonster oder nur an uns selbst. Tatsächlich können wir nie letztgültig wissen, was richtig und was falsch ist, absolute Urteile über die Welt gibt es nicht. Aber, meine verehrten Damen und Herren, könnte nicht genau das es sein, was uns als europäische, als westliche Gesellschaft heute ausmacht: nicht der Konsens, sondern, dass wir den friedlichen Dissens aushalten?"


Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen, wir alle sind gut und böse zugleich und ergeben trotzdem ein halbwegs plausibles Ganzes
© Felix Schodrok
Ferdinand von Schirach verwebt an diesem Abend die Ebene des Unterhaltsamen gekonnt mit maßgeblichen Begebenheiten der Geschichte. Hier werden uns Visionäre wie Heinrich IV. und seinen Bußgang nach Canossa, Staatstheoretiker Montesquieu oder Aufklärer John Locke und seinen Einfluss auf die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vor Augen geführt. „Die großen Erklärungen der Menschheit waren Utopien“, sagt von Schirach. „Uns würde es nicht schaden, heute noch einmal so mutig zu sein.“ Die errungenen Werte seien in Gefahr. „Es gilt, die Vielfalt zu verteidigen“, sagt er. „Darum schreibe ich.“ Er schließt mit der letzten Erzählung aus seinem Buch, die auch vom Tod, vor allem jedoch vom Glück handelt."

"Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment."


Zu unserer Überraschung entdecken wir im sanften Abendlicht  bunte Papageien in den Wipfeln der Bäume.
© Felix Schodrok
Das Publikum ist begeistert, die Schlange am Büchertisch, wo der Autor signiert, sehr lang. Ob er sich in diesem Tumult noch einigermaßen wohlfühlt, frage ich mich. Mein Sohn und ich treten hinaus in den kleinen Park vor dem Schauspielhaus.

Zu unserer Überraschung entdecken wir im sanften Abendlicht  bunte Papageien in den Wipfeln der Bäume.


Weitere Termine:

  • 30.05.19 Kassel, Staatstheater
  • 31.05.19 Solothurn, Literaturtage
  • 02.06.19 Oldenburg, Staatstheater


Ferdinand von Schirach scheint der Mann der Stunde zu sein: "Spiegel" bis "New York Times" feiern ihn als großen Erzähler und Stilisten, mit Übersetzungen in 40 Ländern ist er inzwischen einer der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautoren mit Millionenverkäufen. Von Schirachs Bücher werden fürs Fernsehen verfilmt und als interaktive und trotzdem anspruchsvolle Spektakel aufgeführt, sein Roman "Der Fall Collini" kommt jetzt sogar ins Kino. Nun erschien der neue von Schirach mit dem schönen Titel "Kaffee und Zigaretten".




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