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Hochsensibilität: Stärkungsprozess für zarte Menschen
Zu Beginn ein kleines sommerliches Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Sie machen Urlaub auf dem Land und dann ist dort ein fleißiger Hausmeister mit Rasenmäher und Heckenschere gefühlt täglich 3 Stunden unterwegs. Die Einrichtung der Wohnung ist nicht so wie es auf den Bildern im Internet zu sehen war und aus ihrer Perspektive einfach nur gruselig. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, spielt das Wetter schon seit Tagen nicht mit. Wie würden Sie reagieren?
von Kathrin Sohst
Für viele hochsensible Menschen werden solche Situationen schnell zu laut, zu grell und zu intensiv. Unangenehme Gefühle übernehmen die Führung und das Gedankenkarussell schaltet den Turbo ein. Stress und Überreizung sind nicht weit. Motorgeräusche, unmögliche Muster, Mistwetter und die zunehmend miese Stimmung beim Partner oder in der Familie – das wäre sicher keinem hochsensiblen Menschen egal. Unser Nervensystem reagiert auf die Reize, ob wir wollen oder nicht. Und dennoch haben wir die Wahl, wie wir mit der Situation umgehen. Fokussieren wir uns auf die unangenehmen Dinge und unsere hochsensiblen Herausforderungen? Oder machen wir eine kurze Atempause und nutzen dann unsere hohe Wahrnehmungsgabe, unsere Kreativität und unser ganzheitliches Denken, um Lösungen zu finden, damit der Urlaub doch schön wird…?
Ich würde vielleicht erst etwas meckern, vielleicht auch ein paar Tränen rauslassen, um mich von meiner Idealvorstellung zu verabschieden und dann würde ich mir Regenzeug und Gummistiefel anziehen, ins Auto steigen und mit Familie und Hund in der Natur auf die Pirsch gehen. Museen besuchen. Nette Landcafés entdecken. Oder im Stall auf dem Bauernhof mithelfen. Und wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch die Möglichkeit, sich ein anderes Domizil zu suchen oder einfach nach Hause zu fahren. Denn wichtig ist zu schauen: Welche Bedürfnisse sind da? Wie gehe ich damit um? Was kann ich tun, damit es mir und meinen Mitmenschen gut geht? Fragen, die für alle Menschen wichtig sind, für hochsensible sogar elementar wichtig.
Hochsensibilität im Kurzporträt
Der Begriff Hochsensibilität kommt ursprünglich aus dem Englischen und wurde in den 1990er Jahren von Dr. Elaine N. Aron geprägt: Highly Sensitive Person – kurz HSP. Hochsensible sind nicht krank, sondern haben ein besonders sensibles Temperament. Es betrifft 15-20 Prozent der Menschen und tritt bei Frauen und Männern gleichermaßen auf. Aron beschreibt vier Merkmale, die für hochsensible Persönlichkeiten typisch sind:
• hohe Sensibilität der Sinne
• intensive Emotionalität und langes Nachhallen von Gefühlen
• leichte Übererregbarkeit
• hohe Verarbeitungstiefe und starke Vernetzung im Denken
Man könnte auch sagen: Hochsensible sind wahrnehmungsbegabt. Ein Wesenszug, der in unserer Gesellschaft eine Menge Herausforderungen mit sich bringt: Wenn andere noch auf Hochtouren laufen, können Hochsensible bereits mit Stress reagieren, weil sie viel mehr Reize und Informationen aufnehmen und verarbeiten, als durchschnittlich sensible Menschen. Und während andere am Wochenende von einem Event zum anderen tingeln, sind hochsensible Menschen oft schon glücklich, wenn sie sich einfach ausruhen und einen schönen, entspannten Spaziergang im Wald machen und die Natur genießen können.
Hochsensibilität – ein neues Phänomen?
Hochsensibilität hat es – so ist meine Überzeugung – auch in vergangenen Zeiten gegeben. Doch damals gab es weder spezifische Forschung noch einen Begriff dafür. Auch heute ist die Hochsensibilitätsforschung noch so jung, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei vielen Ärzten, Psychologen und Pädagogen noch nicht angekommen sind. Zudem fehlte früher die Offenheit, sich mit Andersartigkeit positiv auseinanderzusetzen. Die Relevanz des Merkmals mag auch deswegen steigen, weil bei vielen Menschen der Alltag immer reizintensiver und komplexer wird (… und somit zum Beispiel die Erwartungen an Urlaubszeiten auch zunehmen und schneller enttäuscht werden können). Heute ist die Informations-, Kommunikations- und Leistungsverdichtung so hoch, dass Hochsensibilität schneller zum „Problem“ werden kann und dann oft unangenehm auffällt. Der Lichtblick: Unsere Gesellschaft ist offener geworden für „andersartige“ Menschen. Es besteht Hoffnung, dass hochsensible Menschen in Zukunft und mit wachsender Bekanntheit des Phänomens nicht mehr mit Sätzen wie „Nun stell dich mal nicht so an“, „Sei doch nicht so empfindlich“ und „Nimm Dir nicht immer alles so zu Herzen“ abgestraft werden sondern ihre Stärken geschätzt und gebraucht werden.
Erkenntnis Hochsensibilität als Chance
Vor allem für die hochsensiblen Menschen selbst ist es ein Segen, von dem Phänomen zu wissen und die eigene Hochsensibilität zu erkennen. Wer nicht von seiner Hochsensibilität weiß, kann seine zarten Wesenszüge oft nicht einordnen, stellt sich selbst in Frage und erlebt die hohe Wahrnehmungsfähigkeit als Belastung. Wer nicht weiß, dass es unterschiedlich sensible Menschen gibt, der geht davon aus, dass auch die anderen so sensibel sind und ist in der Folge oft verletzt oder versteht die Welt nicht mehr, wenn andere vermeintlich „rücksichtlos“ durch die Gegend poltern. Viele, die nichts von ihrer Hochsensibilität ahnen, gehen davon aus, dass das, was die meisten anderen tun und woran viele Spaß haben (Achtung – auch hier lauert eine Urlaubsfalle! Mainstream muss nicht für alle gut sein ...) das ist, was auch sie selbst glücklich macht. Doch Hochsensible, die auf den Wegen gehen, die für durchschnittlich sensible Menschen und von durchschnittlich sensiblen Menschen gemacht sind, scheitern öfter, sind schnell gestresst, werden öfter krank und verstehen die Welt nicht mehr. Warum macht mir keinen Spaß, was den anderen Spaß macht? Wieso bin ich nicht so leistungsfähig wie andere? Warum ecke ich oft an, wenn ich darüber spreche, was und wie ich wahrnehme? Warum sind die anderen so „oberflächlich“? Merken die das denn gar nicht?
© www.zart-im-nehmen.de
Wendepunkt mit Glückspotenzial
Die Erkenntnis Hochsensibilität ist für die meisten HSP ein Wendepunkt. Da eine starke Wahrnehmung keine Krankheit ist, gilt es, sich selbst anhand eines Tests im Internet, die alle auf dem Ursprungstest von Elaine Aron basieren, zu erkennen, mit dem Thema auseinanderzusetzen, das eine oder andere Buch über Hochsensibilität zu lesen oder sich mit anderen hochsensiblen Menschen auszutauschen. Zu erkennen, dass wir mit diesem Wesenszug nicht allein dastehen und unser Nervensystem von Natur aus anders arbeitet, ist eine Wohltat. Wer bisher keine Chance hatte, sein andersartiges Temperament positiv zu reflektieren, hat jetzt eine Erklärung. Die Reizspeicher sind schneller gefüllt, der Körper reagiert mit Stress und schüttet Stresshormone aus, die immer wieder abgebaut werden müssen. Denn sonst drohen langfristig stressbedingte Krankheiten. Also braucht es mehr Freiräume, Pausen und optimalerweise auch Rückzugsorte und Wohlfühlräume. Die Erkenntnis Hochsensibilität hilft dabei, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse anzunehmen und Stellschrauben im Alltag zu entdecken, an denen wir drehen können, um nach und nach mehr Entspannung ins Leben zu bringen. Das Ziel: Öfter in den Flow kommen und glücklich sein statt mit der Welt zu hadern …
Stärkungsprozess für zart-starke Menschen
- Glaubenssätze prüfen und Bedürfnisse wahr- und ernstnehmen
Schauen Sie sich Ihr Selbstbild und Ihre Glaubenssätze an. Da steckt viel Veränderungs- und Stärkungspotenzial. Nehmen Sie die andersartigen Bedürfnisse bei sich selbst, bei Ihrem Partner, bei Ihren Kindern oder auch bei Kollegen und Freunden ernst. Auch wenn Sensibilität aktuell noch als Schwäche gesehen wird empfehle ich hier ganz klar einen Bruch mit dem, was Sie bisher unter Sensibilität verstanden haben.
- Sensibilitätsbegriff neu definieren
Definieren Sie Sensibilität für sich neu! Denn auf hochsensible Menschen wirken die üblichen Glaubenssätze wie schleichendes Gift. Auch zu denken, dass Hochsensible nur eingeschränkt leistungsfähig sind, ist ein Trugschluss. Denn ein paar Veränderungen bei der Arbeit und im privaten Umfeld können dafür sorgen, dass Stressoren abnehmen und wir uns wohler fühlen.
- Eigenarten und Herausforderungen kennen und annehmen
Was fordert Sie besonders heraus? Geräusche, Gerüche, visuelle Reize, Zugluft, fehlende Rückzugsräume, die Gefühle und Stimmungen der Mitmenschen – all das sind Faktoren, die HSP stark beeinträchtigen können. Wer sich die eigenen Herausforderungen bewusst macht und aufhört, dagegen zu kämpfen, der macht den Weg frei für positive Veränderungen im Alltag. Klarheit über uns selbst, hilft bei der Selbstfürsorge: Wie reagiere ich auf Stress? Wie kündigt sich eine Überforderung an? Was passiert mit meinem Körper und wie fühle ich mich, bevor die Überreizung eintritt? An dieser Stelle können Atemübungen, der Rückzug in einen ruhigen Raum, eine Tee-Pause, ein Blick aus dem Fenster oder ein kurzer Aufenthalt an der frischen Luft einer Überreizung entgegenwirken. Wenn „Zwischendurch-Pausen“ zum Beispiel bei der Arbeit ungern gesehen sind, ist der Gang zur Toilette eine Notlösung, um Abstand von der Reizsituation zu bekommen. Mit etwas Glück riecht es dort auch gerade nicht ganz so streng …
- Stärken herausarbeiten
Parallel ist es wichtig, sich die eigenen Stärken bewusst zu machen und sich darauf zu fokussieren. Was bringe ich aufgrund meiner hohen Sensibilität und Wahrnehmung mit? Ist es eine hohe Lösungsorientierung, starke Empathie, intensiv kreative Fähigkeiten, eine hohe Intuition für richtige Entscheidungen, eine gutes Bauchgefühl, Qualitätsbewusstsein, vernetztes Denken, eine hohe Sensibilität für Fehler, starkes Wertebewusstsein oder eine differenzierte Wahrnehmung? Welche sensiblen Talente nutze ich bereits in Job und Familie? Welche noch nicht? Was kann ich noch ausbauen? Je besser HSP ihre Herausforderungen und Stärken kennen, desto einfacher wird es, selbstsicher für die eigenen Bedürfnisse einzustehen und ein gutes Selbstbewusstsein zu entwickeln.
- Starkmacher integrieren
Grundsätzlich und erst recht bei dauerhafter Überreizung ist es zunächst einmal wichtig, an der Basis anzusetzen: Viel Ruhe, ausreichend Schlaf, jeden Tag moderate Bewegung an der frischen Luft idealerweise im Grünen (nicht gerade Leistungssport, der wieder Druck auslöst), entspannende Rituale, Musik, Gesang oder ein gutes Buch. Darüber hinaus gibt es viele stärkende Methoden wie Yoga, Gewaltfreie Kommunikation, Achtsamkeitstraining oder Meditation. Wichtig ist, sich nicht auch noch in der Freizeit mit der Entspannung Stress zu machen. Finden Sie den oder die richtigen Starkmacher für sich und integrieren Sie kleine Sequenzen in den Alltag. Denn die kleinen Schritte bewirken oft viel mehr als große Veränderungen.
- Stärke zulassen
Hochsensible Menschen sind sehr leistungsfähig, verantwortungsbewusst und bringen eine Menge Stärken mit, die sie sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld einbringen können. Passen Sie Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen Schritt für Schritt dem zarten Temperament an. Denn wir HSP sind wertvolle Leistungsträger – wenn man uns lässt, wenn wir uns selbst lassen und wenn wir gut für uns sorgen.
Weniger kann mehr sein
- eine Fünkchen Bereitschaft, anders zu denken
- eine Prise existenzielle Flexibilität
- ein Bund frisches Selbstbewusstsein
- eine dicke Portion Mut, den eigenen Weg im eigenen Tempo zu gehen
Das kann auch bedeuten, weniger den gängigen Statussymbolen hinterherzujagen und den Begriff Erfolg für sich neu zu definieren. Dabei geht es nicht um dauerhaften Verzicht, sondern vielmehr um Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und Werte und darum, die Lebensqualität zu steigern. Wenn das gelingt, dann schmeckt dieser Cocktail ganz wunderbar und sorgt dafür, dass aus der Last mit der Hochsensibilität mehr und mehr Freude an der Wahrnehmungsbegabung entsteht. Machen Sie sich eines immer wieder bewusst: Sie entscheiden, ob Sie Ihren Fokus auf Ihre sensiblen Herausforderungen oder Ihre zarten Stärken legen.
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© www.empathisch-kommunizieren.de
Als Expertin und Botschafterin für Hochsensibilität unterstützt Kathrin Sohst Menschen und Unternehmen dabei, zart-starke Potenziale zu nutzen und Stress zu reduzieren. Ihr Buch heißt „Zart im Nehmen – Wie Sensibilität zur Stärke wird“. Sie berät und coacht, leitet Informationsveranstaltungen, Seminare und Workshops und hält Vorträge. Parallel dazu setzt sie sich für psychische Gesundheit in der Arbeitswelt ein und textet für Wirtschaft und Magazine. Eine weitere Leidenschaft gilt der Fotografie. Die Diplom-Dokumentarin und geprüfte PR-Beraterin ist verheiratet und Mutter von zwei Töchtern. Und sie ist selbst hochsensibel. Wer ihr begegnet, erlebt eine empathische Frau, die offen mit Emotionen umgeht und tiefgründig ist – aus Überzeugung. Ihre Mission: Sensibilität und Emotionen legalisieren und Wertschätzung zum Standard machen.Website: www.sensibel-und-stark.de
Buchwebsite: www.zart-im-nehmen.de
Kathrin Sohst
Zart im Nehmen
Wie Sensibilität zur Stärke wird
Stark durchs Leben gehen trotz Sensibilität – das wünschen sich viele hochsensible Menschen und erleben ihre hohe Wahrnehmung dennoch immer wieder als Last. Wie der Frust immer weniger Raum einnimmt und das sensible Leben zur Lust werden kann, darum geht es in dem Buch.
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