Der Verrat am Selbst - Und warum es wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben

Zu sich zu stehen, die eigene Einzigartigkeit und die tiefen Bedürfnisse des Geistes, des Körpers und der Seele nicht aufs Spiel zu setzen, ist keine einfache Aufgabe.
Oft scheint es bequemer, sich anzupassen und die Forderungen von Eltern, Lehrern und Arbeitgeberinnen zu erfüllen. Aber wer sich selbst verrät, zahlt einen hohen Preis.

von Thomas Hohensee


Vielleicht erscheint dir das Wort „Verrat“ stark übertrieben, aber es bezeichnet den Sachverhalt doch sehr genau. Verrat, das bedeutet einerseits die Preisgabe von Geheimnissen und andererseits Treuebruch. In diesem Fall trifft die zweite Bedeutung zu. Treue ist gleichbedeutend mit Verbundenheit. Es gibt den Ausdruck, sich selbst treu sein und genau darum geht es hier. Man vergisst, wer man eigentlich ist und was einem von Herzen wichtig ist. Die eigenen Bedürfnisse werden preisgegeben und das gleich in dreifacher Hinsicht.

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Der Verrat bezieht sich auf den Geist, den Körper und die Seele.

Dem eigenen Geist treu zu sein, das heißt z.B. die reinen Tatsachen wahrzunehmen, sie nicht zu leugnen oder zu verzerren, selbständig zu denken, sich eine eigene Meinung zu bilden und zu ihr zu stehen.

Der Verrat lässt all dies nicht mehr zu. Stattdessen gilt nun: „Wes‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing‘„. Man redet Eltern, Lehrerinnen und Vorgesetzten nach dem Mund. Man übernimmt die Meinungen anderer und nach einiger Zeit merkt man es vielleicht gar nicht mehr.

Eine eigene Meinung zu haben, macht einen angreifbar. „Meinst du das wirklich so?“ oder „Wollen Sie das tatsächlich behaupten?“ fragen andere und sehen dabei böse oder mitleidig aus. Oder sie sagen: „Ach, so einer sind Sie!“ Da ist es bequemer, schnell einen Rückzieher zu machen: „Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint“.

Manchmal schaut man dann lieber gar nicht mehr genau hin, weil man nichts von dem wissen möchte, womit man anecken könnte.

Der zweite Verrat ist der am Körper. Dabei ignoriert man seine Bedürfnisse nach Bewegung, Entspannung und Schlaf oder auch nach abwechslungsreicher, gesunder Nahrung.

Treue bedeutet Verbundenheit. Bricht man die Treue zum Körper, verliert man den Kontakt zu seinen körperlichen Bedürfnissen. Man bildet sich z.B. ein, ununterbrochen arbeiten zu können, ohne sich ausruhen zu müssen.

Die Erschöpfung wird mit Medikamenten oder Drogen unterdrückt. Beim Essen begnügt man sich mit Fast Food. Eventuelle Magenschmerzen werden mit diversen Mittelchen überdeckt.

Und schließlich der Verrat an der Seele: Man verweigert ihr die Zeit und den Raum, sich zu entfalten. Selbstbestimmung und Selbstständigkeit nimmt man nicht ernst, sondern lässt sich von anderen vorschreiben, was man zu tun und zu lassen hat. Man leugnet seine Einzigartigkeit und tut so, als ob man wie die anderen wäre.

Dem entspricht der Stellenwert von Models in unserer Gesellschaft. Frauen, die von Modedesignern beliebig gestylt werden und dabei jede Authentizität einbüßen, laufen bei Modenschauen wie Marionetten über den Laufsteg. Millionenfach werden ihre Fotos reproduziert und dienen Mädchen und Frauen als erstrebenswertes Vorbild.

Es ist kein Wunder, dass es immer weniger unverwechselbare Persönlichkeiten gibt, knorrige, schrullige oder spleenige Typen, die den Mut haben, zu sich zu stehen und die lieber gehasst werden für das, was sie sind, als geliebt werden für etwas, das sie nicht sind.

Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Schauspieler und Wichtigtuer haben Hochkonjunktur. Die Grenzen zwischen Reality TV und wirklichem Leben sind fließend geworden. Schauspieler werden Politiker und Politiker treten in Fernsehserien auf.

All die aufgesetzten Lebens- und Berufskarrieren sind ständig begleitet von psychischem und physischem Elend. So repressiv, wie unsere Gesellschaft noch immer verfasst ist, geht es im Grunde nicht darum, ob man Körper, Geist und Seele verrät, sondern eher darum wie sehr man es tut.

Doch jeder Käfig hat eine Tür.

Sie steht nicht unbedingt weit offen, aber sie ist vorhanden. Wenn man in einen Käfig hinein gekommen ist, kommt man auch wieder heraus. Der Verrat lässt sich heilen.

Das größte Hindernis für die Selbstbestimmung besteht darin, dass man mit seiner Freiheit nichts anzufangen weiß. Man weiß vielleicht noch gar nicht, wer man ist oder man hat es unter dem Druck, dem man in der Kindheit ausgesetzt war, vergessen. Vielleicht hat man auch noch nicht gelernt, seine Träume zu verwirklichen und gibt bei Hindernissen zu schnell auf.

Das Glück der Selbstbestimmung und der Selbstverwirklichung wird einem jedenfalls nicht geschenkt, aber es lohnt sich, dafür zu kämpfen.



Thomas Hohensee ist Autor vieler erfolgreicher Selbsthilfebücher (zuletzt „Das Gelassenheitstraining“ und „Wie ich meine Angst verlor - Und wie Ihnen das auch gelingen kann“), Life Coach und Seminarleiter.


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