Sich einen Reim auf die Welt machen – Mythen
Ein Mythos ist also wahr, weil er wirkt,
nicht weil er uns faktische Informationen liefert.
Karen Armstrong
Erwachsen aus dem größten "Skandal" des menschlichen Lebens, der Erfahrung des Todes, trösten die Mythen, aber sie zwingen uns auch, vom Vertrauten Abschied zu nehmen, um Neuland zu betreten und ein anderer zu werden. Sie geben uns Rituale an die Hand, Leitfäden, wie das Leben richtig zu führen sei, und sie handeln von Unbekanntem, von Göttern, Helden und von Dingen, die sich nicht erklären lassen, die Liebe etwa, Zorn und sexuelle Leidenschaft. Kurzum: Mythen helfen uns, das Universum zu verstehen.
Von den Anfängen in der Steinzeit mit den Mythen der Jäger und Schamanen bis zu den weltanschaulichen Umwälzungen der Neuzeit und schließlich der Moderne mit ihrer Diskreditierung des Mythos' durch die Naturwissenschaften -
Die Geschichte des Mythos' ist in auch eine Geschichte der Menschheit und der Menschen, die stetig versuchen, nicht nur die Welt und das Universum, sondern auch das eigene Leben und Schicksal zu verstehen.
Aspekte der Mythen
Mythen bieten den Menschen emotionale und mentale Sicherheit durch Einbindung in ein religiöses Geschehen
Mythen bereiten Menschen auf das Ertragen von Extremsituationen vor
Mythen helfen, sich richtig zu verhalten.
Sprache, Sprachmelodie und Rhythmus der mythischen Erzählung wirken auf die „innere Erzählung “ des Zuhörers oder Lesers. Die innere Erzählstimme und die äußere ergänzen einander. Das Raunen des Erzählers beschwört jene Zeiten herbei, in denen die Sprache der Menschen mit der Sprache der Natur eins war: die Sprache des verlorenen Paradieses.
Der Mythos wendet sich mit seiner Bildhaftigkeit an die Gefühle. Je menschlicher die Götter sind, desto mehr sympathisieren die Menschen mit ihnen. Alles drehte sich um Pflügen, Ernten, Befruchten, Erde, Sexualität. Götter wie Osiris, Demeter, Astarte und viele andere personifizierten diese Hauptsorgen der Menschen in der Jungsteinzeit: Ackerbau und Ernährung.
Die mythische und die reale Welt rückten zusammen. Jede menschliche Handlung bezog sich auf die jenseitige Welt, um die Angst vor Unglück und Tod zu bannen.
Mythen verkünden „die“ Wahrheit und bindet alle Sinne - Körper, Seele und Geist – an den betreffenden Mythos.Das Ich bekommt das Wortmaterial
für seine Lebenserzählung aus den Familien- und Gruppenerzählungen, von
den Menschen, mit denen es direkt verbal kommuniziert. Aus diesen
Wörtern und Erzählungsteilen setzt es unter eigener schöpferischer
Verwendung des Materials seine Privaterzählung zusammen. Ihr Hintergrund
und ihre Lebensumstände sind ihm bekannt.
Fremde Vermittlung durch Priester, Historiker, Medien weitet diese private Erzählung aus. In diesem regen Austausch von Wörtern und Erzählschemata ändert sich der Mensch und wird von fremden Erzählungen, letzten Endes von einer allgemein anerkannten großen Erzählung (Bibel, Koran) vereinnahmt. Das beruhigt ihn, macht ihn abhängig. Die Geschichte des Turmbaus von Babel zeigt, wie durch Hybris die einheitliche Sprache einer Gesellschaft verloren geht. Mit der Einheitlichkeit der Sprache verliert man die Einheitlichkeit der Erzählung, der Gesellschaft und des Weltverständnisses. Es beginnt die Mythenbildung von vorne: Die klaffende Wunde der zerstörten Sprache wird durch eine neue große Erzählung, eine Meistererzählung, geschlossen.
Annette Maria meint : Thorwald Dethlefsen zeigt in seinem Buch "Ödipus der Rätsellöser" den archetypischen Weg des Menschen anhand des Ödipus-Mythos. Er spannt dabei immer wieder einen Bogen zur Neuzeit und veranschaulicht dadurch, wie aktuell die griechische Mythologie für den heutigen Menschen ist. Jeder Mensch ist Ödipus und muß den Weg durch Schuld und Scheitern gehen, um letzlich befreit zu werden - sich vom Ich zu lösen.
Es werden Parallelen zum Buddhismus genauso deutlich wie zum Christentum, auch wenn deren Anhänger sich nicht gerne mit der griechischen Tragödie vergleichen lassen. Zu Unrecht, wie ich finde. Denn durch den Ödipus-Mythos wird auch die Größe und Weisheit dieser Lehren deutlich und zeigt an, daß sie sich letzlich nicht widersprechen, sondern Brüder im Geiste sind - sich aus Einer Quelle speisen. Dieses Buch ist auch für Einsteiger der griechischen Mythologie zu empfehlen, da es dem Autor nach meiner Auffassung gelungen ist, dieses schwierige Thema in verständlicher Sprache zu veranschaulichen .
Literatur:
Thorwald Dethlefsen : Ödipus der Rätsellöser: Der Mensch zwischen Schuld und Erlösung
Otto, Rudolf: Das Heilige: Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München (Beck Verlag) 2004
Armstrong, Karen: Eine kurze Geschichte des Mythos, Berlin (Berlin Verlag) 2005
Neueste Artikel:
Nicht verpassen: