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Prof. Dr. Gerald Hüther im Interview: "Wer sich seiner Würde bewusst ist, ist nicht verführbar."


Wir alle wollen in Würde sterben, aber sollten wir nicht erst einmal in Würde leben?

Würde ist ein großer Begriff. Gleich in Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Doch was genau ist Würde? Was bedeutet es, wenn uns unsere Würde genommen wird, weil wir etwa in der digitalen Welt nur noch als Datensatz zählen oder im Netz geschmäht werden? Wenn wir uns selbst würdelos verhalten oder andere entwürdigen? Der Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther zeigt in seinem neuen Buch, dass Würde nicht allein ein ethisch-philosophisch begründetes Menschenrecht ist, sondern ein neurobiologisch fundierter innerer Kompass, der uns in die Lage versetzt, uns in der Vielfalt der äußeren Anforderungen und Zwänge in der hochkomplexen Welt nicht zu verlieren.

Im nachfolgenden Interview macht uns Prof. Dr. Gerald Hüther klar, wie wichtig ist es, dass wir lernen, die Wahrnehmung der eigenen Würde zu stärken. Denn: "Wer sich seiner Würde bewusst ist, ist nicht verführbar."

Prof. Dr. Gerald Hüther im LEBE-LIEBE-LACHE Interview mit Annette Maria Böhm

Gerald Hüther
© www.gerald-huether.de

LEBE-LIEBE-LACHE: Welcher grundlegenden Erfahrungen bedarf es, damit sich ein Mensch seiner eigenen Würde bewusst werden kann?

GERALD HÜTHER: Als Kind zu Hause und im Kindergarten, als Schüler in der Schule und später in Ausbildung und Beruf müsste ein Mensch sich in seiner Einzigartigkeit als Subjekt ernst genommen, gesehen und wertgeschätzt erleben, um zunächst eine Vorstellung und dann auch ein Bewusstsein seiner eigenen Würde herauszubilden. Er darf also nicht von anderen zum Objekt von deren Absichten und Erwartungen, Belehrungen und Bewertungen oder gar Maßnahmen und Anordnungen gemacht werden.


LEBE-LIEBE-LACHE: Immanuel Kant definiert die Würde als das Merkmal eines jeden Menschen, das unvergänglich, unveräußerlich und un-bedingt sei. Er meint, dass sich der Mensch durch seine ihm eigene Moralität als "würdig" erweise. Den Rahmen, in dem jeder in körperlicher und geistiger Unversehrtheit leben kann, schaffen dann im 20. Jahrhundert die Menschrechte. Sie formulieren die unbedingte Pflicht zum gegenseitigen Respekt gleich mit - Garantie dafür, dass die Würde des Mitmenschen unangetastet bleibt...
Die Würde des Menschen ist heute in unserem Grundgesetz fest verankert. Ist sie allerdings wirklich unantastbar, oder ist es nicht doch in manchen Fällen erlaubt oder sogar geboten, sie zugunsten anderer zentraler Werte einzuschränken?

GERALD HÜTHER: Kant hat die theoretischen Grundlagen menschlicher Würde herausgearbeitet, aber erst nach den verheerenden Erfahrungen der beiden Weltkriege wurde die Wahrung der Menschenwürde dann auch zum Leitgedanken des künftigen Zusammenlebens gemacht. Die damals zugrunde gelegte „Unantastbarkeit“ der Würde des Menschen bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass es sich hierbei um einen jedem Menschen innewohnenden Wert handelt, gottgegeben, nicht hinterfragbar und nicht verhandelbar.

Das ist eine Erklärung, aber weder fordert sie noch verhindert sie, dass Menschen nach wie vor erleben müssen, dass ihre Würde verletzt wird und es immer wieder Menschen gibt, die durch das, was sie tun und wie sie sich verhalten, ihre eigene Würde verletzten. Wer das unterbinden möchte, müsste dazu beitragen, dass sich möglichst viele Menschen ihrer eigenen Würde bewusst werden. Erst dann können die betreffenden Menschen auch darauf achten und darauf bestehen, dass ihre Würde nicht verletzt wird.



Gerald Hüther

Gerald Hüther:
Meine Freude am Leben lasse ich mir von niemand verderben.

Gerald Hüther:
Ich habe heute einer aus dem Winterschlaf erwachten Fliege das Fenster geöffnet.

Gerald Hüther:
Über eine Gruppe von Schülern, die im Zug beisammen saßen und sich gegenseitig per Smartphone zugetextet haben.
Prof. Dr. Gerald Hüther


LEBE-LIEBE-LACHE: Die bewusstseinsfördernde Schlüsselfrage Ihres Buches lautet: Verletzt nicht jeder, der die Würde eines anderen Menschen verletzt, in Wirklichkeit seine eigene Würde? Verraten Sie uns Ihre Gedankengänge dazu?

GERALD HÜTHER: Wer andere Menschen, genau genommen auch andere Lebewesen, als Objekte für die Realisierung seiner Absichten oder Bedürfnisse benutzt, verletzt deren Würde. Er behandelt sie so, wie er selbst nicht behandelt werden möchte. Damit verstößt er gegen den sich aus dem Bewusstsein seiner eigenen Würde ergebenden Grundsatz, nicht auf Kosten anderer leben zu wollen. Dazu gehört auch, andere nicht von sich und seinen Entscheidungen und Aktivitäten abhängig zu machen.


LEBE-LIEBE-LACHE: Sie entwerfen in Ihrem Buch eine liebevolle Vision der Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Welche Rolle spielt hier Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, um zu empfinden, was der andere fühlen muss?

GERALD HÜTHER: Ich entwerfe keine liebevolle Vision unseres künftigen Umganges miteinander und mit allen anderen Lebewesen, sondern ich versuche deutlich zu machen, das wir als Spezies auf diesem Planeten nur überleben können, wenn wir lernen, anders als bisher miteinander umzugehen. Konstruktiver, liebevoller, einander wertschätzender und unterstützender. Das alles wird uns nur gelingen, wenn wir uns stärker als bisher mit allem Lebendigen verbunden fühlen. Nur dann sind wir fähig, uns in andere hineinzuversetzen und zu empfinden, wie es ihnen geht und was sie brauchen, um sich als lebendige Gestalter ihres eigenen Lebens erfahren zu können. Empathiefähig sind wir alle, aber empathisch verhalten wir uns nur denen gegenüber, mit denen wir uns auch verbunden fühlen.


Würde Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft
Gerald Hüther

Würde
Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft
Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft
Gebundenes Buch
Wir alle wollen in Würde sterben, aber sollten wir nicht erst einmal in Würde leben?

Würde ist ein großer Begriff. Gleich in Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Doch was genau ist Würde? Was bedeutet es, wenn uns unsere Würde genommen wird, weil wir etwa in der digitalen Welt nur noch als Datensatz zählen oder im Netz geschmäht werden? Wenn wir uns selbst würdelos verhalten oder andere entwürdigen? Der Hirnforscher Gerald Hüther zeigt in seinem neuen Buch, dass Würde nicht allein ein ethisch-philosophisch begründetes Menschenrecht ist, sondern ein neurobiologisch fundierter innerer Kompass, der uns in die Lage versetzt, uns in der Vielfalt der äußeren Anforderungen und Zwänge in der hochkomplexen Welt nicht zu verlieren. Umso wichtiger ist es, dass wir lernen, die Wahrnehmung der eigenen Würde zu stärken. Denn: Wer sich seiner Würde bewusst ist, ist nicht verführbar.



LEBE-LIEBE-LACHE: Müssen wir, um eine neue Interpretation der Geschichte der Zivilisation zu zeichnen, erst einmal mit der Vorstellung aufräumen, dass der Mensch von Beginn an eine aggressive, materialistische und egoistische Natur besitzt? Warum wurde der Empathie bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt?

GERALD HÜTHER: Wir leben seit der Sesshaftwerdung vor etwa Zehntausend Jahren in hierarchischen aufgebauten sozialen Ordnungen. Um diese hierarchischen Ordnungsstrukturen zu rechtfertigen und zu stabilisieren sind seither alle möglichen Vorstellungen entwickelt und verbreitet worden. So wurden sie zunächst mit einem göttlichen Willen begründet und später mit dem Hinweis auf die Natur des Menschen. Und die ist dann als Ausdruck seiner genetischen Anlagen betrachtet worden.

Mit dem Hinweis auf die angeborene Empathiefähigkeit des Menschen lässt sich eine hierarchische Ordnung nicht begründen. Auch eine Stärkung des Bewusstseins menschlicher Würde ist nicht geeignet, hierarchische Ordnungsstrukturen in menschlichen Gemeinschaften zu stabilisieren. Beides wird erst dann in den Blick geraten und eine zunehmend stärkere Erforschung und Verbreitung erleben, wenn sich die über so viele Jahrhunderte bewährten Hierarchien allmählich aufzulösen beginnen. Genau das lässt sich gegenwärtig in vielen Bereichen unserer modernen Gesellschaften beobachten.


LEBE-LIEBE-LACHE: Wie gefällt Ihnen der Gedanke, eine Charta des weltweiten würdevollen Umgangs miteinander (vergleichbar mit "The golden rule") auf den Weg zu bringen, der sich alle Menschen verbunden fühlen (können) ... ?

GERALD HÜTHER: Das ist ein schöner Vorschlag, aber davon, dass so etwas in einer Charta festgehalten und verbreitet wird, ändert sich ja nichts auf der Welt. Wer soll dieses Verbundenheitsgefühl wecken? Wie soll die Einhaltung so einer „golden rule“ durchgesetzt werden? Die zehn Gebote gibt es ja nun auch schon seit zweitausend Jahren. Nein, ich denke, dass Regeln und Erlässe oder andere von irgendwelchen Instanzen verbreiteten Wertvorstellungen noch nie so recht und vor allem niemals langfristig funktioniert haben.

Und in unserer heutigen global vernetzten und digitalisierten Welt funktioniert so etwas überhaupt nicht mehr. Wahrscheinlich ist diese Transformation, vor der wir stehen, viel tiefgreifender als wir das anzunehmen bereit sind: Es geht um die Bewusstwerdung dessen, was unser Menschsein ausmacht. Und solch ein Bewusstwerdungsprozess lässt sich durch nichts und niemand herbeiführen. Der kann sich nur in jedem Einzelnen vollziehen. Wer anderen dabei helfen will, müsste ihnen helfen, sich selbst zu verstehen.


Hirnforscher Gerald Hüther
© www.gerald-huether.de
Dr. Gerald Hüther, geboren 1951, hat am Max-Planck-Institut und der Universität Göttingen als Prof. für Neurobiologe geforscht. Er ist ein sehr bekannter Autor populärwissenschaftlicher Bücher, darunter mehrere Bestseller, zuletzt „Die Demenzfalle“ und „Würde“. Er ist Gründer und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung (www.akademiefuerpotentialentfaltung.org) und Initiator der Initiative Würdekompass (www.wuerdekompass.de).





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