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Bedingungsloses Grundeinkommen - Uwe Koch im Interview


Das bedingungslose Grundeinkommen ist mehr als nur eine Überlegung wert. Es löst nicht alle Probleme, wäre aber ein deutlicher Fortschritt.

Wer sicher weiß, dass monatlich ein bestimmter Betrag aufs Konto wandert, der weiß, dass er sich keine Sorge um Miete, Stromrechnung und seine Mahlzeiten machen muss, der hat den Kopf frei für andere Dinge. Bewerbungen zum Beispiel. Und Rentner könnten sich den Weg zur Tafel sparen, sich ihre Würde bewahren...

Uwe Koch
© Uwe Koch
Uwe Koch ist Landesvorsitzender bei Bündnis Grundeinkommen. Im LEBE-LIEBE-LACHE Interview meint er: "Die Freiheit der Wahl muss den Menschen zurückgegeben werden."

LEBE-LIEBE-LACHE:
Inwiefern würde sich ein BGE von den gegenwärtig getätigten staatlichen Sozialleistungen unterscheiden?

UWE KOCH: Ein BGE unterscheidet sich von den staatlichen Sozialleistungen vor allem dadurch, dass es nicht an Haushalte gezahlt wird, sondern an Individuen, also einzelne Menschen. Es wird auch keine Bedürftigkeit überprüft und kein Mensch wird sich dafür rechtfertigen müssen, dieses Geld zu erhalten. Ein BGE ist also kein Gegenkonzept zu Hartz 4, sondern ein Konzept, das die Existenz sowie die gesellschaftliche Teilnahme jedes Menschen sichert. Niemand wird gezwungen sein, für diesen Rechtsanspruch Formulare auszufüllen und niemandem kann das Recht auf ein BGE verwehrt werden. Lediglich besondere Bedarfe, wie etwa bei Schwerstpflegefällen, müssen extra berechnet und angewiesen werden. Diese werden jedoch nicht mit dem Grundeinkommen verrechnet, sondern sind Zusatzleistungen.

Ein BGE kann auch deshalb nicht mit gegenwärtigen Sozialleistungen verglichen werden, da es nicht nur den Menschen mehr Autonomie verleiht, sondern auch den Unternehmen durch deren Befreiung von der Verantwortung als reiner Arbeitgeber hin zu einer Verantwortung als sozialer Partner innerhalb der Gesellschaft. Wenn heute noch sehr viele Aktivitäten der Unternehmen toleriert werden, nur weil diese das Druckmittel einsetzen, Arbeitsplätze zu sichern, werden diese nach Einführung eines BGE nicht mehr so leicht gegen eine allgemeingültige Ethik oder auch gegen Umweltbestimmungen verstoßen können. Stattdessen werden sie mehr und mehr einer Gemeinwohlökonomie verpflichtet werden und trotzdem den Anforderungen der Industrie 4.0 gewappnet sein.

Durch die Berücksichtigung hilfsbedürftiger Menschen bei gleichzeitigem Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen werden also weder das vom Grundgesetz geforderte Versicherungselement verletzt noch das freie Unternehmertum behindert.

Bisher erarbeitete Rentenansprüche dürfen nicht angegriffen werden.


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© Free-Photos/pixabay


LEBE-LIEBE-LACHE:
Wie stehen Sie zu der Befürchtung, dass durch ein BGE der Arbeitskräftemangel in als unangenehm geltenden Jobs zunehmen würde?

UWE KOCH: Es gibt als unangenehm geltende Jobs und es gibt unangenehme Tätigkeiten. Das müssen wir trennen. Wir wissen alle aus unserem Privatleben, dass es Möglichkeiten gibt, Tätigkeiten angenehmer zu gestalten. Zu diesen Möglichkeiten gehören das Wissen, diese Tätigkeiten nicht auf lange Sicht machen zu müssen, die Freiheit, sich diese Arbeit nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten und natürlich auch die finanzielle Entlohnung. Das bedeutet, Arbeitgeber können unangenehme Arbeiten einfach besser bezahlen oder die Arbeit angenehmer machen. Das ist mit moderner Technik und mit ein wenig Rechnen leicht zu machen. Man muss es nur wollen. Und genau das bedeutet auch ein konsequentes Nein zu genau so dummen wie ausbeuterischen Konstrukten, wie 1-Euro Jobs oder andere staatlich verordnete Zusatztätigkeiten.

Aber was gilt als unangenehm? Nehmen wir einmal das oft zitierte Beispiel des Toilettenreinigens. Oft scheint es so, als herrsche allgemein das Bild eines irgendwo zwischen Spinnenweben und Urinflecken hockenden Menschen vor, der glücklich über jeden Cent zu sein hat, der ihm von irgendeiner Herrschaft in ein Schälchen geworfen wird. Diese Vorstellung ist bestenfalls amüsant. Aber es zeigt uns auch den realitätsfernen Blick, dem wir alle noch zu leicht unterliegen. Wir halten die Arbeit in einer öffentlichen Toilette für entwürdigend und heroisieren gleichzeitig Manager so weit, dass wir es sogar akzeptieren, wenn diesen wie selbstverständlich in irgendwelchen Talkshows die Rolle eines großen Staatsphilosophen zugewiesen wird. Als unangenehm gelten Jobs dann nur deswegen, weil wir uns über unsere Arbeit definieren. Werden Menschen gefragt, was sie machen, antworten diese meistens mit ihrem Beruf. Da ist der Unterschied zwischen Toilettenfrau und Management natürlich frapierend, solange wir dieser realitätsfernen Sicht auf das Berufsleben ausgehen.

Auch Team-, Projekt- und Standortleiter sind heute mehr im Protokollieren einfacher Strukturen gefangen. Auch Krankenschwestern und -pfleger beschäftigen sich mehr und mehr mit dem Monitoring und mit der Rechtfertigung ihrer Arbeit, als dass sie der Tätigkeit nachgehen, wofür sie diesen Beruf gewählt haben. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten unangenehmen Tätigkeiten nach und nach Maschinen übernehmen werden.

Auf der anderen Seite ist ein guter Freund von mir Dachdecker und kann sich trotz seines Alters von fast 60 Jahren nichts Schöneres vorstellen, als Holzbalken und Dachpfannen zu verlegen.

Auf die Frage: „Was würdest Du tun, wenn für Dein Leben gesorgt wäre“, kann es also keine statistische Antwort geben. Manche Menschen halten die Arbeit eines Dachdeckers für unangenehm, andere könnten sich nicht vorstellen, in Polizeiuniform Streife zu laufen. Die Freiheit der Wahl muss den Menschen zurückgegeben werden.

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LEBE-LIEBE-LACHE: Arbeit stiftet Sinn und trägt zur Integration bei: Fürchten Sie nicht, dass diese Werte dann verloren gehen?

UWE KOCH: In der heutigen Arbeitswelt stiftet die Erwerbsarbeit schon lange keinen Sinn mehr, sondern erfüllt bestenfalls einen Zweck. In den Jahren 2007 bis 2010 kam es bei Renault und der France Télécom zu Selbstmordserien. Allein bei der France Télécom waren es 46 Menschen, die sich selbst töteten. Alle schrieben entweder Abschiedsbriefe oder kündigten ihre Selbsttötungen im Bekanntenkreis an. Die meisten Opfer dieser modernen Arbeitswelt waren gut bezahlte „Kopfarbeiter“, die bei ihrer Berufswahl noch so etwas wie einen Sinn fühlten, der ihnen aber durch moderne Arbeitsstrukturen, Arbeitsverdichtung und maßlose Steigerung geistloser Tätigkeiten genommen wurde.

Die Behauptung, eine Erwerbsarbeit würde Sinn stiften, kann so nur als zynisch abgewiesen werden.

Tatsächlich finden aber viele Menschen Sinn in ehrenamtlichen Tätigkeiten und sozialem Engagement. Die Erziehung von Kindern, die Pflege von kranken und alten Menschen, der Schutz der Natur aber auch ein noch immer unbegrenzter Erfindungsgeist und eine hohe Kreativität im Hobby, im Verein oder im privaten Bereich, zeigen, wo der Sinn der Arbeit liegt. Menschen sind sozial und solidarisch. Sich im Sozialen zu engagieren gibt ihrem Leben Sinn.

Zudem ist es ein Grundbedürfnis des Menschen, kreativ und produktiv zu sein. Dabei möchten sie den Zweck ihres Tuns jedoch selbst bestimmen und dessen Folgen beobachten können. Was sie nicht wollen ist es, sich einer Effektivität unterzuordnen, die lediglich dem Profit dient.
Heute bestimmen Menschen und Konstrukte die Arbeitswelt, die ihre Produktivität und Kreativität in der Effektivierung anderer Menschen ausleben. Wohin das führt, sehen wir ganz deutlich nicht nur an den Selbstmorden bei Renault und France Télékom, wir müssen nur morgens in die Straßenbahn steigen und in die Augen unserer Mitmenschen blicken. Selbst viele Lehrer sehen keinen Sinn mehr darin, ihre Schülerinnen und Schüler in zweckdienliche Formen zu bilden.
Selbstverständlich kennen wir auch die Theorien vor allem von Hannah Arendt und Ernst Bloch, dass erst die Dualität aus Pflicht und Freizeit eine Welt der Kreativität schafft. Jedoch haben wir überall Pflichten. Mit Erwerbsarbeit haben die nichts zu tun.


LEBE-LIEBE-LACHE: Sollen Ihrer Meinung nach, Milliardäre wie Geringverdiener, Kinder wie Erwachsene das gleiche Einkommen erhalten?

UWE KOCH: Ein ganz klares Ja. Es heißt bedingungsloses Grundeinkommen. Eine Grenze bei einem Einkommen zu ziehen – bei welcher Summe überhaupt? - machte das BGE zu einer Farce.
Jedoch ist es bei allen Finanzierungsmodellen so, dass wohlhabende oder reiche Menschen zu Nettozahlern des BGE werden. Je höher das Einkommen über dem BGE liegt, desto stärker greifen die Steuern.

Bei Kindern unterscheiden sich die Modelle. Manche gehen von 50% bis zum 16. Lebensjahr aus, andere von einer prozentualen Steigerung von 40% ab der Geburt und dann mit 3% jährlicher Erhöhung. Welches Modell später zum Einsatz kommt oder ob es eine Kombination unterschiedlicher Modelle sein wird, muss demokratisch und innerhalb der Parlamente entschieden werden. Dabei kann nur an die Gewerkschaften, Sozialverbände und Verbraucherschützer appelliert werden, sich daran zu beteiligen.


LEBE-LIEBE-LACHE: Wie soll ein BGE finanziert werden?

UWE KOCH: Zuerst einmal: Der Wiederaufbau konnte finanziert werden und ebenso die Wiedervereinigung. Das historisch ehrenvolle Sozialsystem wurde trotz diktiertem Wirtschaftswunder finanziert und wir schaffen bei allem Gejammer die Energiewende und trotz Pöbeleien das, was allgemein Flüchtlingskrise genannt wird. Was also ist die Motivation, die Finanzierung des BGE in Frage zu stellen?
Laut Statistischem Jahrbuch und Sozialbericht erhält heute jeder Einwohner Deutschlands pro Monat etwa 1600 Euro Bruttolohn, 880 Euro soziale Transferzahlungen sowie 740 Euro Vermögenseinkommen. Damit jeder Einwohner je Modell ein BGE von 1000-1500 Euro pro Monat bekommen könnte, müssten die heutigen Geldströme umgelenkt bzw. angepasst oder neu erschaffen werden.
Grob die Hälfte der der heutigen sozialen Transferleistungen könnte für das BGE verwendet werden, weil die Grundbedarfe ja weg fielen. Worüber kurioserweise kaum geredet wird, sind die unglaublich hohen Vermögenseinkommen, die wir in Deutschland haben. Vermögenseinkommen stammen aus Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden oder Lizenzgebühren – und sind bedingungslos und leistungslos, das heißt, sie werden von anderen erarbeitet. Wir haben in Deutschland heute de facto 740 Euro pro Monat bedingungsloses Vermögenseinkommen!

Nur leider extrem schief verteilt. Wir möchten davon einen deutlichen Anteil umwidmen, um das bedingungslose Grundeinkommen zu finanzieren. Die Steuern, mit denen das funktioniert, wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter gesenkt; wir möchten diesen Trend umkehren. Von den Bruttolöhnen, die man ja zusätzlich zum BGE verdienen würde, würde eine weitere Sozialabgabe abgeführt, zum Beispiel 20 Prozent. Das beschriebene Modell ist eine von vielen Möglichkeiten. Das Bündnis Grundeinkommen hat sich auf kein konkretes Finanzierungsmodell festgelegt, möchte aber die Diskussion über mögliche Varianten stetig weiter vertiefen.

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LEBE-LIEBE-LACHE: Welche Veränderungen würden Sie für Bremen erwarten, wenn das BGE, zumindest testweise, eingeführt wird?

UWE KOCH: Bremen hat laut Armutsbericht des Paritätischen die höchste Armutsquote in ganz Deutschland. Ein Viertel aller Bremer müssen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze zurechtkommen. Das ist vor allem für diese Menschen sehr tragisch, aber es wirkt sich auch auf den Konsum und den inneren Frieden aus.

Ein BGE würde die Armut beenden und auch den Geringverdienern wieder ein Leben in Würde ermöglichen. Neben dem erlösenden Effekt für jeden Einzelnen, der sein Leben nun ohne ständigen Rechtfertigungsdruck mit materieller Grundlage besser selbst gestalten könnte, ist auch ein Anstieg der Kaufkraft zu erwarten. Neuen, kleinen Unternehmen würde es so doppelt leichter werden, mit ihren vielfältigen Ideen das Bremer Leben zu bereichern. Diese neuen Unternehmen würden wiederum Arbeitsstellen schaffen. Und selbst die testweise Einführung des BGE in Bremen in begrenztem Umfang würde ein wunderbares Signal sein, dass uns die Menschenwürde tatsächlich etwas bedeutet. Kurz gesagt: Bremen wäre wieder auf dem Weg, das zu werden, was es einmal werden wollte. Eine freiheitliche Stadt mit florierendem Unternehmertum, in der die Menschen gerne leben, arbeiten und konsumieren.


Uwe Koch - Portrait
© Uwe Koch
Uwe Koch ist Landesvorsitzender bei Bündnis Grundeinkommen
 
www.buendnis-grundeinkommen.de

Wenn Sie Kontakt zum BGE-Bremen-Parteivorstand aufnehmen wollen:

uwe.koch(at)buendnis-grundeinkommen.de
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